Mysteriöser Anruf aus einem New Yorker Loft: Sabine Timoteo in Michael Glawoggers "Das Vaterspiel", der mit dem Großen Preis der Diagonale für den besten Spielfilm ausgezeichnet wurde.

Foto: Diagonale

Mit gebündeltem Programm fand das Festival zu einer produktiven Gelassenheit zurück.

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Graz - Konzentration benötigt ein geordnetes Ambiente, keine unnötigen Abschweifungen. Die neue Festivalleiterin Barbara Pichler verordnete der Diagonale eine Abschlankungskur, nachdem das Programm in den letzten Jahren durch seine Fülle zunehmend konturloser geworden war. Die Bündelung war ein Erfolg. In einer angenehm gelassenen Atmosphäre verstrich das Festival vergangene Woche in Graz und fand zu einem neuen Selbstverständnis, das der friktionsreichen heimischen Filmszene gewiss nicht schaden wird. Eine Plattform für die Vielgestaltigkeit des Filmschaffens braucht schließlich auch ein stabiles Fundament.

Angesichts wirtschaftlich prekärer Zeiten hat die Ruhe aber auch etwas trügerisches: Filmpolitische Debatten - etwa über die drohende Aufkündigung des Film- und Fernsehabkommens durch den ORF - fanden zu wenig Öffentlichkeit. Die Diskussionsschienen stießen mit der Betonung auf Analyse und Reflexion auf eher geringes Publikumsinteresse. Das ist bedauerlich, weil eine Chance für Vertiefungen ungenützt blieb. Vielleicht benötigt es zusätzlich aktuellerer Themen, um die Gesprächsbereitschaft der Branche anzukurbeln.

Mit 23.000 Besuchern und einer Auslastung von circa 70 Prozent konnte das Festival gegenüber dem Vorjahr zulegen. Eine Kontinuität des Programms zeigte sich in der Qualität der dokumentarischen Arbeiten und deren Fülle an konzeptuellen Strategien. Sabine Derflinger hat mit eine von 8 einen eindringlichen Film über zwei Frauen mit Brustkrebs gedreht, der durch seinen erweiterten Erfahrungshorizont gewinnt: Die Protagonistinnen filmen sich passagenweise selbst, vermitteln damit den zermürbenden Kampf mit der Krankheit auf einer affektiven Ebene.

Auch Nina Kusturicas Little Alien, der das Schicksal minderjähriger Flüchtlinge behandelt, gelingt es, einem Thema Perspektiven abzugewinnen, die über Engagement hinausgehen: Er zeigt nicht nur institutionelle Hürden auf dem Weg zum Asylbescheid, sondern findet Platz für Alltagsbeobachtungen, in denen eine Normalität in der Not, eine Lebensrealität jenseits simpler Oper-Täter-Schemata nachvollziehbar wird.

Eine formal höchst bemerkenswerte Arbeit präsentierte Katharina Copony mit Oceanul Mare, die in das Milieu chinesischer Migranten in Rumänien eindringt. In den mit Auge für Widersprüche komponierten Einstellungen porträtiert sie eine hybride Welt wechselseitiger kultureller Überschneidungen. Das Erfolgsmodell China wiederholt sich quasi als Exportgut gewiefter Unternehmer im Exil.

Überraschungssieger

Preise wurden am Samstagabend bei der Diagonale dann auch vergeben, und zwar im Rahmen einer kompakten, nicht mehr auf Gala gepimpten Zeremonie. Götz Spielmann erhielt den BMUKK-Würdigungspreis für Filmkunst, Förderpreise wurden dem Dokumentaristen Peter Schreiner (Bellavista) und der Videokünstlerin Billy Roisz zuerkannt. Für Überraschung sorgte die Vergabe des Großen Diagonale Spielfilmpreises an Michael Glawoggers Das Vaterspiel: Die bei der Berlinale vorgestellte Josef-Haslinger-Adaption hatte in Graz Österreichpremiere.

Das Vaterspiel kreist auf mehreren Erzählebenen um unauflösbare Stellungen: Ein NS-Kriegsverbrecher vom Baltikum hat sich Jahrzehnte in einem Keller eingeschlossen. Der Sohn eines Opfers gibt seine Geschichte zu Protokoll. Ein österreichischer Spieleentwickler mit schwieriger Vaterbeziehung wird von einer flüchtigen Bekanntschaft mit Renovierungsarbeiten betraut. Die Geschichten verknüpfen sich langsam - der Gesamteindruck bleibt disparat, aber die Jury zeigte sich beeindruckt von der "großen Zerbrechlichkeit" dieses Films um Schuld und Söhne, dessen Puzzleteile nicht "das eine, richtige Bild" ergeben.

Als bester Dokumentarfilm wurde Constantin Wulffs In die Welt ausgezeichnet: konzentrierte Beobachtungen aus dem Alltag der Wiener Semmelweis-Klinik, zum institutionellen Vor- und Umfeld des Gebärens. Der Preis für Innovatives Kino ging - bereits zum zweiten Mal - an Michael Palm, diesmal für Laws of Physics: ein buchstäblich geradliniger, filmischer Belastungstest für das gerechnete Bild.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wirkte der Preisname "für innovative Produktionsleistung" in Bezug auf die prämierte Bonusfilm für den Kinokassenschlager Echte Wiener mehr als schräg. (Dominik Kamalzadeh und Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe, 22.03.2009)