"Das 21. Jahrhundert ist für mich eine renaissanceartige Bewegung." - Die Malerin und Filmemacherin Mara Mattuschka greift in ihren aktuellen Arbeiten Ideen aus der antiken Mythologie auf.

 

Zur Person:
Mara Mattuschka, geboren 1959 in Bulgarien, lebt seit 1976 in Wien. Seit 1983 dreht sie Kurz-, Experimentalfilme (u. a. "Kugelkopf", "Les Miserables" , "S.O.S. Extraterrestria" , "ID" , "Running Sushi" ); daneben zahlreiche Ausstellungen, Performances, Liederabende.

Foto: Urban

Dominik Kamalzadeh traf sie zum Gespräch über Malerei, Alter Egos und Sprache als Körper.

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Standard: Sie haben an der Angewandten Malerei bei Maria Lassnig studiert, Film ist also eigentlich gar nicht Ihr erstes Medium. Wie ist es zu dieser Annäherung gekommen?

Mattuschka: Ich verstehe mich schon als Malerin. Die Malerei hat mich seit meiner Kindheit begleitet - wobei Malerei in Bulgarien eine Art Volkssport ist. Ich habe als Kind ein Büchlein bekommen, in dem man Reproduktionen von klassischen Gemälden zuordnen musste. Die westlichen Maler waren für mich eine neue Welt, vor allem was die Sinnlichkeit und Sexualität anbelangt. Ich hatte ja nur wenige Spielsachen: eine georgische Magierfigur, einen Plüschelefanten und vielleicht zehn Stück Lego. Das war alles sehr karg: umso mehr Eindruck haben die Bilder hinterlassen.

Standard: Inwieweit prägt die Malerei dann auch Ihre Filme?

Mattuschka: Sie hat mich Großzügigkeit gelehrt: Wie man mit relativ einfachen Mitteln etwas Sublimes erreichen konnte. Ich habe gerade ein Buch über amerikanische Kameraleute gelesen. Sie meinten, sie lernten von der Malerei, wie man Licht setzt. Sie ist ja vor allem Licht, nichts anderes. Wenn man malt, muss man vor allem darauf schauen, dass das Ergebnis strahlt.

Standard: Beeinflusst das Malen auch den Blick auf den Körper?

Mattuschka: Ja, auch die Kompositionen kommen aus der Malerei, der intime Blickwinkel auf eine Person. Wenn man ein Modell malt, und das haben wir mit Maria Lassnig oft gemacht, entsteht eine enge Verbindung zwischen dem, was man sieht, und dem, was man macht. Ein direktes Fluidum, das auch für die Drehs hilfreich war.

Standard: Wodurch wurde dann dieser Wechsel zur Kamera motiviert? Gab es Vorbilder?

Mattuschka: Dadurch, dass Maria Lassnig Trickfilme gemacht hat. Die ersten Filme, in denen ich mich als Subjekt vor die Kamera gestellt habe, waren für mich wie bewegte Bilder - ich dachte kaum an Filme, wie man sie aus dem Kino kennt. Als sie das erste Mal auf Festivals liefen, war ich überrascht, dass man sie als Filme sehen kann.

Standard: Wie es ist zur Figur der Mimi Minus gekommen, Ihres filmischen Alter Egos?

Mattuschka: Ich habe sehr viele Alter Egos. Es gibt so etwas wie Persönlichkeitsspaltung, die zum Teil unbewusst, zum Teil bewusst stattfindet. Nach dem Motto: Was gespalten ist, hört nicht auf, weiter auseinanderzufallen. Man trennt negative Aspekte von sich ab, um sich zu einer positiven Person zu entwickeln, und diese Negativa organisieren sich zu einer Fast-Person. Mimi Minus entstand auch unter dem Aspekt, dass ich immer schon ein Problem damit hatte, etwas über jemanden zu machen, über den ich zu viel weiß.

Standard: Sie stellen in Ihren Filmen stets die Ordnung von Subjektivitäten infrage und befreien das Ungesagte, Triebhafte, Tabuisierte. Ist das der Akt einer bewussten Dekonstruktion von Rollenmustern, oder geschieht das intuitiv?

Mattuschka: Eher intuitiv. Zunächst sind alle Anteile einer Person beisammen, aber alles ist auch widersprüchlich, die ganze Persönlichkeit. Je mehr man sich selbst analysiert, desto mehr definieren sich auch die einzelnen Anteile.

Standard: Das wirkt sich auch auf die Sprache aus - wie in Ihrem neuen Film "Burning Palace" , in dem sie wieder mit dem Choreografen Chris Haring zusammenarbeiten.

Mattuschka: Das wird immer wichtiger! Nicht nur der Sprechakt, auch der Aspekt, dass Sprache selbst materiell wird. Der direkte Wortlaut ist in Burning Palace nicht bedeutungstragend. Es gleicht mehr einer Entleerung der Sprache, der Sprechakt vollzieht sich im gesamten Körper. Ähnliches kennt man ja auch von Godard, wenn ein Dialog zwischen Personen austauschbar wird. Mich hat immer interessiert, wie ein Element ins andere wandert: wie Raum zu Zeit, wie Sprache zu Materie wird. Ich glaube, im Kopf ist alles gleichwertig.

Standard: Wie lässt sich das auf "Burning Palace" übertragen? Man sieht Menschen in einem Hotel, die sich begehren, aber eine gewisse Distanz, ihre Isolation nicht überwinden können?

Mattuschka: Der Film basiert auf dem Stück Posing Projects von Chris Haring und Liquid Loft. Auf der Bühne standen alle Darsteller zugleich beisammen, über ihnen hingen Lautsprecher. Im Film verschiebt sich der Kontext. Es gibt sehr viele Assoziationen aus der mythologischen Welt, zum Beispiel die Figur des Pan, der alle weckt. Pan weckt sie aber nicht für den Tag, sondern für die Nacht. Für mich ist der Akt des Weckens ein Transitorium, man wechselt von einem Zustand in einen anderen.

Standard: Ist das eine Art Ablöse in Ihrem Werk? Früher haben Ihre Arbeiten stärker auf Populärkultur rekurriert - nun mehr auf Klassik.

Mattuschka: Das 21. Jahrhundert ist für mich eine renaissanceartige Bewegung, wieder hin zu universalistischerem Denken. Wenn ich etwas entdecke - und ich muss immer etwas entdecken, sonst werde ich unruhig -, stelle ich immer öfter fest, dass es schon da gewesen ist. Als Keimling - aber die Dinge gehören ausformuliert.

Standard: Wonach suchen Sie, wenn Sie entdecken wollen?

Mattuschka: Nach Reizen, nach Ekstase. In Wirklichkeit ist es geistiger Hedonismus. Natürlich will man etwas mitteilen. Ich glaube, das prägt unser Gefüge, und ich werde das Gefühl nicht los - und ich will jetzt nicht wie eine Verschwörungstheoretikerin klingen -, dass es Gleichgesinnte gibt: In gewisser Hinsicht lebt man füreinander.

Standard: Sehen Sie sich eigentlich als politische Filmemacherin?

Mattuschka: So eine schwierige Frage hat mir noch niemand gestellt! - Schon, aber nicht wortwörtlich: Ich kann's mir nicht aussuchen, ich tue das, was ich kann, und das, was mir einfällt. Ich denke, dass es im Endeffekt politisch ist, die Betonung auf das Intime, das Private, Seelische zu legen.

(SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 17.03.2009)