Bild nicht mehr verfügbar.

Schon am Wochenende suchten Kamerateams nach lohnenden Motiven - und fanden zunächst nur die Sicherheitstrupps

Foto: AP/Schrader

Bild nicht mehr verfügbar.

Ungeniert wurden vorab Details über die Anklage, den Täter und die Opfer ausgebreitet. The Mail gab sogar den Namen des Ortes bekannt, wo sich die Tochter von Josef F. und ihre Kinder an ein Leben in Freiheit zu gewöhnen versuchten

Foto: AP/Hans Punz

Die britischen Boulevardmedien stürzen sich auf den Prozess gegen Josef F. in St. Pölten und berichteten im Vorfeld ausgiebig. In den vergangenen Tagen wurde das Thema allerdings von anderen "Aufregern" überlagert

***

London - Die jüngsten Morde in Nordirland, der öffentliche Krebstod eines TV-Sternchens, die spektakuläre Verurteilung eines Londoner Taxifahrers als Serienvergewaltiger, der Skiurlaub von Thronfolger Prinz William - die weltweit als Rottweiler verrufenen Londoner Boulevardmedien haben dieser Tage reichlich Stoff für Aufregergeschichten.

Details über Opfer und Täter

Vielleicht fällt deshalb ihre Berichterstattung zum Prozess in den letzten Tagen gegen Josef F. vergleichsweise verhalten aus, obwohl die großen Zeitungshäuser schon vor Wochen ihre Reporter-Teams nach Amstetten und St. Pölten geschickt haben. Wie viele Journalisten sich um den spektakulären Fall kümmern werden, zu dieser und ähnlichen Fragen hält man sich in den Redaktionen bedeckt: "No comment", heißt es stellvertretend für andere beim Murdoch-Blatt The Sun.

So ungern sich die britischen Medien in die eigenen Karten schauen lassen, so ungeniert wurden vorab Details über die Anklage, den Täter und die Opfer ausgebreitet. The Mail gab den Namen des Ortes bekannt, wo sich die Tochter von Josef F. und ihre Kinder an ein Leben in Freiheit zu gewöhnen versuchten.

Stalker und Paparazzo

Mittlerweile, berichtete The Sun, seien die Opfer in den Schutz einer Klinik zurückgekehrt. Der angebliche Grund, laut Sun ein Stalker, war laut The Guardian ein britischer Paparazzo, über den die Boulevardblätter aber kein Wort verloren. Stattdessen wurde die Beziehung der Opfer von Josef F. spaltenweise analysiert.

Hobby-Analytiker

Der Sunday Telegraph unternahm einen gänzlich unironischen Versuch der Volkspsychologisierung: Österreichs Bevölkerung sei "entschlossen, sich nicht einer tiefsinnigen Debatte über den Nationalcharakter hinzugeben". Das habe damit zu tun, so die Hobby-Analytiker aus dem Mutterland der Privatsphäre, "dass normale Österreicher sich instinktiv um ihre eigenen Affären kümmern, wenn die Nachbarn in Verruf geraten".

"Scheinwerfer auf Österreich"

Das Geschehen richte den Scheinwerfer auf Österreich und seine Behörden, glaubte auch The Guardian. Dass deren Versäumnisse aufgearbeitet würden, sei „unwahrscheinlich", schrieb der Sunday Telegraph und zitierte eine Amstettnerin mit den Worten: „Ich habe es satt, dass immer vom ,bösen Amstetten‘ und ,bösen Österreich‘ die Rede ist. Es hätte überall passieren können."

Missbrauchs-Fall in Sheffield

Sogar in Großbritannien. Darauf gehen die britischen Medien zwar mit keinem Wort ein; vielleicht bewahrt sie aber die Erinnerung an einen Fall aus der jüngsten Vergangenheit vor der sonst sehr ausgeprägten Neigung zu vorschnellen Pauschalurteilen über andere. Im November verurteilte das Krongericht Sheffield einen 56-Jährigen zu 25 Mal lebenslang, weil er über Jahrzehnte seine beiden Töchter vergewaltigt und mit ihnen neun Kinder gezeugt hatte.


Zwar blieben viele Details der grauenhaften Familientragödie unklar, weil das Gericht den Medien strenge Auflagen zum Schutz der Opfer auferlegte. Wie in solchen Fällen üblich, soll nun eine unabhängige Untersuchung etwaige Behördenversäumnisse aufklären und mögliche Konsequenzen aufzeigen. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD Printausgabe 16.3.2009)