Eric Frey,
"Mit der Krise leben lernen".
24,90 Euro, 272 Seiten.
Linde Verlag, Wien 2009

 

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Informationen über die Krise und Lehren aus ihr: Eric Frey meint, dass die Ursachen weniger bei den Bankern liegen als ineiner schlechten Politik - Von Bernhard Felderer

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Mit dem Buch "Mit der Krise leben lernen" legt Eric Frey eine Arbeit vor, die eine große Lücke in der Information der interessierten Öffentlichkeit schließen könnte. Mit großer Sachkenntnis werden nicht nur die dramatischen Ereignisse der letzten zwei Jahre, sondern ihre Vorgeschichte, die Vorbereitung dieser Krise durch Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, analysiert.

Am Ende versucht der Autor auch "Lehren aus der Krise" zu ziehen: Er schließt mit einem Kapitel über Geldanlage nach den in der Krise gemachten Erfahrungen.

Eigenleben

Im ersten Kapitel wird der Verlauf der Krise geschildert. Dieses Kapitel liest sich wie ein Kriminalroman. Alle Fachausdrücke wie ABS, CDO oder CDS etc. werden erklärt und sind für jeden Laien verständlich dargestellt. Das zweite, dritte und vierte Kapitel enthält wichtige Teile der Volkswirtschaftslehre bzw. der Finanzwirtschaft, die für das zu behandelnde Thema grundlegend sind. In Kapitel zwei wird zunächst auf die Frage eingegangen, inwieweit sich verschiedene Theorien auf die Funktionsfähigkeit von Märkten verlassen haben. Dabei kommt Frey auch auf so grundsätzliche volkswirtschaftliche Fragestellungen wie das "Gefangenendilemma" oder auf die Frage zu sprechen, ob Finanzmärkte grundsätzlich effizient arbeiten. Effizienz hätte die Implikation, dass niemand mehr Gewinne machen könnte. Natürlich kommt der Autor zum Schluss, dass Markteffizienz in der Realität nicht vorliegen kann, was auch durch das wiederkehrende Auftreten von Finanzblasen belegt wird.

In Kommentaren wird häufig zwischen Finanz- und Realwirtschaft unterschieden mit dem Zusatz, dass die Finanzwirtschaft zunehmend ein Eigenleben führt und dabei die Realwirtschaft, die einzig für die Güterversorgung der Menschen relevant ist, stört. Es ist sehr erfreulich, dass sich der Autor dieser populären Sicht nicht anschließt, sondern im Gegenteil feststellt: "Die Finanzwirtschaft ist ein integraler Teil der Realwirtschaft" (S. 73).

Erkenntnisse der Verhaltensforschung

Im dritten Kapitel wird ein Überblick gegeben über das, was man in der Ökonomie als Behavioral Economics bzw. an dieser Stelle als Behavioral Finance bezeichnet. Denn wie die moderne Forschung heute weiß, lässt sich das Verhalten der Teilnehmer auf Finanzmärkten, insbesondere auf Aktienmärkten, nicht nur oder oft gar nicht über rationale Entscheidungen erklären, sondern bedarf der Ergänzung durch Erkenntnisse der Verhaltensforschung.

Das vierte Kapitel bietet einen kurzen, aber spannenden Überblick über die Finanzkrisen seit dem 17. Jahrhundert, beginnt mit der Tulpenkrise von 1636/37 und endet mit der 9/11-Enron-Krise als letzter Finanzkrise vor der gegenwärtigen. Auch in der Öffentlichkeit wenig bekannte Krisen, wie die Krise von 1873, die einen großen Teil der damaligen Welt betroffen hat und von Wien und Berlin ausgegangen ist, finden hier eine kurze Würdigung.

Das fünfte Kapitel trägt die Überschrift "Wie die Weltfinanzkrise entstanden ist" . Es versucht mit Recht, die Gründe für die Krise in mehreren Ursachen aufzuspüren. Wobei sicher alle vom Autor genannten Komponenten von Bedeutung sind: die Rolle Chinas, die Niedrigzinspolitik von Alan Greenspan, die US-Politik, Eigenheime für jedermann zu ermöglichen, die Verbreitung von verbrieften Krediten über die ganze Welt, die weitgehende Vernachlässigung von Risikomanagement im Bereich der Finanzwirtschaft, unzureichende Finanzmarktaufsicht sowie mangelnde Vorkehrungen für eine Krisensituation. Über die Gewichtung der einzelnen Komponenten kann man allerdings unterschiedlicher Meinung sein. Die Rolle der Volksrepublik China als eine der Ursachen der Krise wird in der Darstellung sicher überschätzt. Die Finanzierung des US-Leistungsbilanzdefizits und damit auch die Stabilisierung des US-Dollar-Kurses lässt sich nicht so weitgehend auf Kapitalimporte aus der Volksrepublik China zurückführen.

Greenspan und die Zinsen

US-Treasury Bonds sind auch nur ein Teil des Kapitalzustroms in die USA. Wenn wir auch alle anderen Möglichkeiten, insbesondere Aktienkäufe, mitbetrachten, so beträgt der Nettokapitalimport aus China nur 31 Prozent des gesamten Nettokapitalimports der USA. Der Rest verteilt sich auf die ganze Welt. Die EU hat immerhin einen Anteil von 20 Prozent an den Nettokapitalimporten der USA. Auch ein zweiter Punkt regt zum Widerspruch an. Natürlich ist es gegenwärtig große Mode, die Krise der Niedrigzinspolitik des früheren FED-Chefs Alan Greenspan zuzuschreiben. Während seiner fast 20-jährigen Amtszeit gab es kaum Kritik an der scheinbar sehr erfolgreichen Geldpolitik der USA. Im Gegenteil, die flexible Reaktion der Zinsen wurde weltweit bewundert. Jede Möglichkeit, das Zinsniveau zu senken, ohne die Stabilität der Preise von Gütern und Dienstleistungen zu gefährden, wurde von Greenspan wahrgenommen. Diese Politik hat u.a. auch zum Erfolg der US-Wirtschaft beigetragen. Die Blase im Immobilienmarkt konnte bis zum Jahr 2005 durchaus als Ausdruck einer vitalen Wirtschaft mit zunehmendem Bedarf an Eigenheimen interpretiert werden.

Ab 2005 hat Greenspan selbst vor den Folgen steigender Immobilienpreise gewarnt und die Zinsen hinaufgesetzt. Hätte die FED vor 2005 die Zinsen stark erhöht, und damit möglicherweise den Immobilienpreisanstieg verhindert, hätte die ganze Welt mit Unverständnis reagiert, weil Greenspan das Abwürgen der Konjunktur zu Last gelegt worden wäre. Nach 2005 hätten die Zinsen auch rascher erhöht werden können, das Ergebnis würde aber wohl nicht sehr verschieden von dem, was wir heute haben, ausfallen.

Fehlentwicklungen

Stärkere Betonung verdient aus Sicht des Rezensenten die Tatsache, dass die Finanzaufsicht in den USA immer weiter gelockert wurde, sodass der Leverage bei den US-Banken ein Rekordverhältnis von Schulden zu Eigenkapital von über 30 erreichen konnte. Unter Berücksichtigung ausgelagerter, nichtkonsolidierter Geschäftsfelder lag dieses Verhältnis in einigen Fällen gar über 100. Dass der Autor die Deregulierung der Bankensysteme, besonders im angelsächsischen Raum, als Fehlentwicklung sieht, muss man unterschreiben. Sie hat auch mit den Positionen liberaler Ökonomen wie Hayek, Mises oder Machlup nichts zu tun, die hohen Fremdfinanzierungen sehr skeptisch gegenüberstanden und sie als systemgefährdend ansahen. Das Verhältnis der gesamten Verschuldung in den USA im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt lag Ende 2008 deutlich höher als während der Krise zu Beginn der 30er-Jahre. Das zurzeit ablaufende Deleveraging ist eine Herkulesaufgabe für die Zentralbanken. Schäden für die Realwirtschaft sind unvermeidlich.

Das Schöne an dem Buch ist, dass der Autor an vielen Stellen eine klare persönliche Position bezieht, nicht ohne vorher, soweit der Platz es zulässt, andere Meinungen darzustellen. So enthält das Buch ein klares Bekenntnis zu den Prinzipien der Marktwirtschaft. Auch seine Erkenntnis, dass die Weltfinanzkrise in erster Linie eine Folge schlechter Politik ist und nicht einer anonymen Masse von Bankern und Finanzmanagern in die Schuhe geschoben werden kann, ist bemerkenswert. Kurz: Ein Buch, das der Laie wie der Fachmann mit Gewinn lesen kann. (DER STANDARD, ALBUM, 14./15.3.2009)