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Pöbeln am Gang ist out, dafür nimmt "Cyber-Bullying" in sozialen Netzen zu. Resümee einer Schuldirektorin: "Die Disziplinarprobleme sind anders, aber nicht größer."

Foto: APA/AP/L.G. Patterson

Ein Klassenzimmer in einem Wiener Gymnasium. OberstufenschülerInnen mit Weihnachtsmännermützen und teils maskierten Gesichtern. Rockmusik, dann geht der Vandalismus los: Sessel fliegen durch das Zimmer, Computer werden getrasht, am Ende ein Trümmerfeld und diese Botschaft: Merry Christmas!

Vandalismus

Es ist schon ein paar Jahre her, als dieses YouTube-Video den Weihnachstfrieden der Wiener Schuldirektorin Heidi Schrodt nachhaltig zerstörte. Eine aufgeregte Lehrerin hatte ihr den betreffenden Link geschickt, noch in den Ferien rückten Direktorin und Stadtschulrat aus, um den vermeintlichen Vandalismus zu besichtigen. Aber in der feiertäglich verlassenen Schule war kein Schaden zu besichtigen. Ein Schülerstreich, wie sich später herausstellte, eine "künstlerische Aktion", für die sich sogar unter den Lehrern Verteidiger fanden. Die dekorativ zerstörten Möbel und PCs? Ausrangiertes Inventar aus dem Keller.

"Riesendisziplinarverfahren"

Was vor drei Jahren noch zu einem "Riesendisziplinarverfahren" mit Androhung auf Ausschluss führte, "würde ich heute nicht mehr so machen", sagt Heidi Schrodt im Gespräch mit dem Standard. Dabei sind seither Beschwerden über Cyber-Mobbing schon Alltag geworden. Betroffen sind nicht nur Schülerinnnen und Schüler, über die per Mail oder Postings auf sozialen Netzwerken gestänkert wird. Auch Frust über Lehrerinnen und Lehrer findet online derbe Entladung, "aber auch Fotos von Professorinnen, bei denen 'cool!' steht".

"Cyber-Bullying"

Vor allem die sich ausbreitenden sozialen Netzwerke wie MySpace, Facebook oder schuelerVZ scheinen sich für "Cyber-Bullying" (Cyber-Anpöbeln) besonders gut zu eignen, konstatierte eine Studie des Forschungsinstituts Pew/Internet. Ein Drittel der befragten Teenager gab an, schon einmal online belästigt worden zu sein. Die häufigste Form: Private E-Mails, Chatnachrichten oder Fotos weiterleiten (15 Prozent), gefolgt von online verbreiteten Gerüchten (13 Prozent). Mädchen gaben häufiger an als Burschen, belästigt worden zu sein, und in Netzwerken kommt Stänkern und Pöbeln häufiger vor als via Mail oder andere Webseiten. Dabei reicht die Definition von "Belästigung" von scherzhafter Schmähung bis zu ernsthaften Drohungen.

Die Sache mit den Postings

Der "Vorfallsbericht" einer US-High School an der Westküste, den eine Schuldirektorin (Name bekannt) dem Standard zeigte, schildert einen solchen Zwischenfall. Ein Vater hatte die Schule kontaktiert, da seine Tochter über eine Facebook-Nachricht sexuell und körperlich bedroht wurde; dem gingen Beschimpfungen voraus. Die Nachforschungen der Schule ergaben schließlich, dass ein Schüler seine angemeldete Facebook-Seite unbeaufsichtigt ließ. Ein andere Schülerin nutzte dies, um dem in einem Posting als "ugly" (hässlich) bezeichneten Mädchen eine Nachricht unter falschem Namen zu schicken. Sie selbst kannte das Mädchen gar nicht, gab sie später an, aber sie griff den Faden auf, schrieb die ärgsten Drohungen, die ihr gerade einfielen, und schickte die Message ab.

Drei Millionen Dollar-Klage gegen Facebook

Die Schülerin wurde vorübergehend suspendiert und musste ein psychologisches Attest beibringen, um wieder aufgenommen zu werden. Sie hätte nicht gedacht, dass es so viel Stunk geben werde, da ohnehin niemand den wahren Urheber herausfinden werde und jeder die Drohung als "Streich" erkennen würde, erklärte sie auf die Frage nach ihrem Motiv. Aber wird das Problem gravierender, wie Medienberichte suggerieren? Niemand hätte hierzulande "Bullying" an einer High School in Long Island interessiert - wäre nicht Facebook in der Folge auf drei Millionen Dollar geklagt worden. Der Suizid einer 13-jährigen, von einer Ex-Freundin und deren Mutter online gemobbt, ging hunderte Male um die Welt und muss wohl noch jahrelang als Beleg für die "neuartigen Risiken" (Spiegel) sozialer Netzwerke herhalten - ebenso wie der Mord an einer 26-Jährigen durch ihren 41-jährigen Freund, weil die Frau online die Trennung bekanntgab. Im gleichen Jahr gab es in den USA rund 33.000 Suizide und 17.000 Morde.

Der Impuls zur Tat ist derselbe

Im Getöse gehen weniger spektakuläre Studien leicht unter. So erhob die Studie "Digitales Jugendprojekt" der Universitäten von Kalifornien und südliches Kalifornien, dass die ständige Kommunikation in sozialen Netzwerken soziale Kompetenz hebt. "Es ist ein Mythos, dass Onlinegebrauch für Kids gefährlich ist oder sie faul macht", sagt Studienleiter Mizuko Ito. Kinder könnten ihren Interessen mit größerer Autonomie als in einer Schulklasse nachgehen, auch wenn Erwachsene dies "ebenso wie einen Spielplatz" beaufsichtigen sollten. "Cyber-Bullying ist in der digitalen Ära angekommen. Der Impuls zur Tat ist derselbe, die Auswirkungen sind vergrößert", konstatierte die Pew/Internet-Studie.

Kein Fotografieren und Filmen an Schulen

Wer dachte, dass in der neuen Online-Welt die alten Probleme draußen bleiben, muss erkennen: Menschen treiben hier letztlich dasselbe wie Offline. "Vor zehn Jahren haben sich Schüler in der Pause versammelt und andere am Gang verspottet und gegrölt, das ist heute eher verschwunden", resümiert Schrodt. "Die Disziplinarprobleme sind anders, aber sie sind nicht größer. Aber selbstverständlich müssen wir darauf reagieren, weil bei fast allen größeren Disziplinargeschichten Mobbing mit dabei ist." Eine Konsequenz: Fotografieren und Filmen ist an ihrer Schule seit einiger Zeit verboten.(Helmut Spudich/DER STANDARD, Printausgabe vom 10.3.2009)