Und es wäre ein Wunder, würde die steigende Jugendarbeitslosigkeit nicht auch politische Probleme hervorbringen.

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Wenn es wirtschaftlich, lohn- und sozialpolitisch nichts mehr zu verteilen gibt, was nicht anderen direkt weggenommen oder vorenthalten werden muss, dann tragen Verteilungskonflikte die Tendenz zur Zuspitzung in sich. In einem allgemeinen Klima der wirtschaftlichen Konjunktur und der optimistischen Zukunftseinschätzung, wie es über lange Zeit in der österreichischen wie europäischen Nachkriegszeit geherrscht hat, sind wirtschaftliche Umverteilungskämpfe selten zum Nullsummenspiel geworden: Die Verlierer im Kampf um ein größeres Stück am Kuchen haben meist doch etwas bekommen, auch wenn der Konfliktgegner ein wesentlich größeres Kuchenstück heimtragen konnte.

Das hat immer wieder zu sozialer und politischer Stabilität beigetragen, die in der Geschichte des 20. Jahrhunderts einmalig lang und politisch folgenreich gewesen ist: in der deutschen Bundesrepublik seit dem "Wirtschaftswunder" , bei der Erfolgsstory der österreichischen Zweiten Republik, während des "Goldenen Zeitalters" , wie der britische Historiker Eric Hobsbawm die Jahre 1945 bis 1990 cum grano salis übertitelt hat.
Seit spätestens Herbst 2008 ist nun vieles anders geworden. In Österreich zeichnet sich nach einem kurzen Rausch von nachholend-notwendiger wie auch populistischer finanz- und sozialpolitischer Freigebigkeit vor den letzten Nationalratswahlen ein schmerzhaftes Engerziehen des Gürtels ab. Der jüngste Schulkonflikt zwischen Lehrergewerkschaft und Bildungsministerium ist nur ein Symptom für die allgemeine wirtschaftlich-soziale Konfliktlage: auf der einen Seite eine Ministerin, deren Budget so radikal beschnitten wurde, dass notwendige schulpolitische Reformen, von denen zuvor so vollmundig gesprochen worden war und denen entwicklungspolitisches Potenzial zugeschrieben wird, nicht mehr ohne ressortinterne Umschichtungen aufrechterhalten werden können, auf der anderen Seite Lehrer, hinter denen eine gut organisierte Gewerkschaft steht, die sich gegen eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen. Dabei gilt es, dreierlei zu unterscheiden:
1. einerseits die "berechtigten" arbeits- und einkommensmäßigen Interessen einer nicht besonders begüterten, aber doch auch mit manchen "Begünstigungen" gegenüber den übrigen Arbeitnehmern ausgestattete Berufsgruppe, andererseits die Interessen der Eltern (und der Schüler), in einer sich radikal ändernden Schul-(Um-)Welt, die mit Recht nach besseren Bildungs- und Intergrationschancen rufen;
2. taktische, verhandlungs- und kommunikationspolitische Fehler, die aufseiten der sozialdemokratischen Bildungsministerin gemacht wurden und den verschiedenen parteipolitischen Süppchen, die aufseiten der regierungsinternen (ÖVP-)Opposition von manchen auch gekocht werden; und
3. die diesem scheinbaren Einzelfall zugrundeliegende soziale Logik der Krise.

Es wird härter

Unter dieser generellen Perspektive ist unübersehbar, dass eine schrumpfende Wirtschaft den Keim zur offenen sozialpolitischen Konfliktverschärfung in sich trägt; dies gilt vor allem, sofern nicht konfliktbremsende Faktoren wirksam werden, die früher immer wieder aufgetreten sind: gemeinsamer Wiederaufbau (nach 1945), den Binnenkonsens fördernde reale oder imaginierte Außenkonflikte ("kalte" oder heiße Kriege) oder interne Konfliktunterdrückung à la "Eiserner Kanzler" , um bis zu Bismarck auszuholen, oder Englands "Eiserne Maggie" .

Positiv an der derzeitigen arbeitspolitischen Konfliktkonstellation ist, dass sich Streikbereitschaft überhaupt (noch) offen äußern kann und Gegensätze nicht unterdrückt oder verschleiert werden können. Besonders positiv muss vermerkt werden, dass ein Mitglied einer sonst nicht besonders geradlinigen Regierungspartei konsequent zu bleiben versucht, vom Reformprogramm so viel wie möglich retten will.

Ein Menetekel an der Wand der österreichischen Politik ist allerdings, dass (oberflächlich gesehen) hinter den Querschüssen und aufbrechenden Konflikten in und zwischen den Regierungsparteien sprengende Tendenzen sichtbar werden. Es wäre gewagt, der Koalition eine lange Dauer zu prognostizieren, insbesondere, da in der Opposition ein schwer eindämmbares rechtspopulistisches Potenzial heranwächst. FPÖ und BZÖ ziehen anders als der von einem Kommentator jüngst herangezogene Nationalsozialismus, der keine Arbeiter-, sondern eine asymmetrische Volkspartei gewesen ist, jetzt überwiegend Arbeiter an, aber ebenso - im Gleichklang mit der NSDAP - in beträchtlichem Ausmaß Junge.

Gerade deswegen wäre es politisch vordringlich, demokratie- und berufsbildende Maßnahmen zu forcieren, da die meisten politischen Parteien Österreichs blind gegenüber jeder historischen Erfahrung das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt haben. Wenn die rapide ansteigende Jugendarbeitslosigkeit zu den sozialen, nicht auch bald politische Probleme induzieren würde, wäre es fast ein Wunder.

Geschichte und jene der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre wiederholen sich nicht eins zu eins, aber man könnte doch einige Lehren ziehen. Die akuten Finanzkrisen haben - in einer globalisierten Welt rascher als 1929 - die Realwirtschaft erfasst und dort fast weltweit eine Industriekrise hervorgebracht, die nach Phasen der Kurzarbeit bald in massenhafte Arbeitslosigkeit übergehen wird. Sofern diese Ablauflogik nicht durch politisches Gegensteuern unterbrochen werden kann, muss dies die sozialen Sicherungsnetze finanziell überfordern, in Reduktionen vielerlei Art treiben und immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze drücken. Gewerkschaftlich gesteuerte Verteilungskämpfe würden dann aus Angst vor der gestiegenen Arbeitslosigkeit zusammenbrechen und die Konfliktpotenziale sich entlang bestehender Gegensätze etwa zwischen den Parteien oder entlang der sogenannten In-/Ausländer-Linie vertiefen. Auch alte und neue Problemzonen um ethnische Minderheiten und nicht integrierte Jugendliche mit "Migrationshintergrund" würden früher oder später wieder aufbrechen, wie sich ein einigen EU-Ländern bereits zeigt.

Noch ist es nicht so weit im krisenerfassten Österreich, aber weitsichtiges und entschlossenes politisches Handeln auf beiden Seiten wäre angebracht, schon bei einem so relativ kleinen Problem wie dem Schulkonflikt. (Gerhard Botz/DER STANDARD Printausgabe, 10. März 2009)