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Der Tag, an dem der Dalai Lama floh: tausende Tibeterinnen am 17. März 1959 in stillem Protest vor dem Potala-Palast in Lhasa

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Schlechte Nachrichten aus der Heimat: eine tibetische Familie in Kangding in der chinesischen Südwestprovinz Sichuan

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Martialisch ausgerüstete Polizeitruppen patrouillieren mit Sichtblenden, Schlagstöcken und Helmen durch das Zentrum Lhasas, haben die großen Klöster abgeriegelt und postieren sich an Kreuzungen und Plätzen vor dem Potalla-Palast. Über tibetische Informanten dringen ebenso beklemmende Schilderungen aus der zweitgrößten Stadt Shigazi nach außen. Vor dem heutigen Jahrestag, an dem vor einem halben Jahrhundert Tibets blutig niedergeschlagener Aufstand gegen Chinas Herrschaft begann, demonstriert Peking mit massiver Präsenz von Polizei und Militär seine Kontrolle des Hochplateaus gegen innere wie äußere Feinde.

Seit Anfang März haben Tibets Behörden jeden Zugang für Korrespondenten und touristische Besucher gesperrt. Ausländer als Zeugen sind unerwünscht, was immer dort passiert. De facto steht Lhasa unter Ausnahmerecht. Tibets Regierungspräsident Quangba Puncog schloss dennoch vereinzelte Protestversuche nicht aus. Vorfälle, bei denen "drei bis fünf Leute auf die Straße gehen und Parolen rufen, sind möglich" , sagte er. "Aber Unruhen wie vergangenes Jahr werden sich nicht wiederholen. Wir haben Vorsorge getroffen."

Gleich zwei Daten in dieser Woche machen die Behörden so nervös. Am Dienstag wird weltweit des 50. Jahrestages des tibetischen Aufstandes gedacht, der am 10. März 1959 in Lhasa begann und in dessen Folge der Dalai Lama am 17. März ins indische Exil floh. Am Samstag jähren sich zugleich die antichinesischen Unruhen, die am 14. März des Vorjahres eskalierten. Sie führten zu Ausschreitungen mit Toten, hunderten Verletzten, meist Chinesen gehörenden abgebrannten Häusern und mehr als 1000 geplünderten Läden.

Alarmiert ist auch der Dalai Lama. Er rief vom indischen Exil seine Landsleute auf, sich nicht wieder provozieren und zur Gewalt hinreißen zu lassen. Aber von solchen Appellen zur Gewaltlosigkeit erfährt Chinas Öffentlichkeit nichts. Sie stören nur Pekings Pläne, den Dalai Lama als den "Schuldigen" des in Wirklichkeit hausgemachten Problems mit Tibet darzustellen.

Kampagne gegen Dalai Lama

Chinas Behörden gehen gegen ihn seit Ende Februar mit einer landesweiten Denunzierungskampagne in ihren Medien, mit täglichen Fernsehfilmen und politischen Theateraufführungen in eine neue Offensive. Immer schon sei der Dalai Lama die Inkarnation des Bösen gewesen. Er habe bis zu seiner Flucht 1959 "mit seinen Lamas als grausamer Feudaldespot über Tibet geherrscht" und wolle dieses "Sklavenhaltersystem" nun wieder einführen.

Eine tendenziöse Großausstellung im Pekinger Minderheitenpalast zu "50 Jahren demokratischer Reform" wurde so schnell zusammengeschustert, dass englische und chinesische Untertexte nicht übereinstimmen und viele Informationen der offiziellen Linie widersprechen. So finden sich in der auf drei Hallen verteilten Schau verstreute Hinweise, die ganz gegen den Willen Pekings nur einen Schluss zulassen: Die Rebellion 1959 war ein echter Volksaufstand. Zugleich fahren Chinas Führer Vorwurf nach Vorwurf auf. Außenminister Yang Jiechi warf dem Dalai Lama jetzt vor, ein "politischer Exilant" zu sein, der ein unabhängiges "Großtibet" aus den Provinzen Tibet, Sichuan, Gansu, Yunnan und Qinghai errichten wolle, das so groß wie ein "Viertel der chinesischen Landmasse" sei. Das alles lässt nur einen Schluss zu: In der Tibetfrage liegen derzeit die Nerven Pekings blank. (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, Printausgabe, 10.03.2009)