Peter Handke blieb seinem Grundmisstrauen gegenüber dem "Vorausgewussten" treu und behauptet sich als Gegen-Chronist.

 

 

Foto: Marko Lipus

In dem mit Reportageelementen spielenden Bericht drängt sich der Autor allerdings immer mehr in den Vordergrund.


Wien - Fast genau zehn Jahre ist es her, dass die Nato mit den Bombardements von 24. März bis 10. Juni 1999 in den Kosovokrieg eingriff. Christa Wolf "spürte" damals zwar, "dass die Bomben den Menschen im Kosovo nicht wirklich helfen", empfand aber auch "Abscheu gegen die serbische Soldateska".

Ähnlich formulierte es Günter Grass, der sich zunächst "schockiert" zeigte, aber meinte, es sei wohl höchste Zeit gewesen einzugreifen und Milosevic zu stoppen. Nur einer sah es wieder einmal anders, immer noch. Denn wenn es bis zum Nato-Einsatz im Kosovokrieg unter den deutschsprachigen Schriftstellern überhaupt eine öffentliche Debatte um die Balkankriege gegeben hatte, war es eine Debatte um Peter Handke gewesen.

Die 1990er-Jahre mit dem mörderischen Krieg auf dem Balkan waren die Zeit, in welcher der bis dahin hochangesehene Autor Peter Handke, der im Gegensatz zu allen Medien und Berichterstattern vehement für die serbische Seite Partei ergriff, zum "Fall" wurde. Für den Psychiater meinen die einen, für eine poetische Weltsicht die anderen.

Nun also hat es Handke wieder getan. Seit heute ist sein neues Buch Die Kuckucke von Velika Hoča. Eine Nachschrift im Handel. Im vergangenen Jahr, kurz nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar und gleich nach dem orthodoxen Osterfest, macht sich Handke auf. Sein Ziel ist die serbische Enklave von Velika Hoča, ein Dorf im südlichen Kosovo, dem Handke im Jahr 2007 die 50.000 Euro des von Privaten finanzierten "Berliner Heinrich Heine Preises 2006" spendete. Der "richtige" Heine-Preis war ihm nach seiner Rede am Milosevic-Begräbnis aberkannt worden.

"Meinetwegen als Journalist"

Nicht nur geht es Handke darum, die "byzantinisch-balkanische Auferstehung von den Toten" zu "erwittern oder zu erschnüffeln", vielmehr drängt es ihn, "den und jenen einzelnen im serbischen Kosovo ausführlich, sozusagen systematisch, in der Rolle eines Reporters oder meinetwegen Journalisten zu befragen, und die Antworten entsprechend mitzuschreiben". Über Belgrad geht es also nach Kosovska Mitrovica, wo Friede "in der Luft liegt" und - jedenfalls im serbischen Teil - der Gehsteig "brüchig, aber überall ritzenfrisch gekehrt" ist und sich "die Busse zwar rumpelig, aber klinkenrein gewaschen" geben. Schließlich die Ankunft in Velika Hoča, wo die vielen Kuckucke und ihr Rufen eine "andere Zeit" anzeigen.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Handke trifft die vom Popen des Ortes ausgewählten Menschen, vor allem Weinbauern, um herauszufinden, ob sich etwas für die Serben geändert hat, "seit sie, dem Anschein nach nun endgültig, unter dem albanischen Doppeladler leben".

Obwohl der Leser einiges zu den Lebensumständen der serbischen Minderheit, über Wasserknappheit, den Exodus derer, die gehen können, und die Verlorenheit der Zurückbleibenden sowie über albanische Schikanen erfährt, drängt sich die Person Handkes im Verlauf des mit Reportageelementen spielenden Buches (etwa wenn ein Spaziergang zum albanischen Nachbardorf geschildert wird) immer mehr in den Vordergrund.

Zu sehr, denn die befragten Enklavenbewohner bleiben schemenhaft, dafür ist der scheinbar nur Referierende überpräsent und beraubt sich so der Möglichkeit, ein Buch zu schreiben, in dem es darum hätte gehen können, dass Friede etwas anderes ist als die Abwesenheit von Krieg.

Seinem Grundmisstrauen gegenüber den vermittelnden Instanzen und dem "Vorausgewussten" ist Handke allerdings treugeblieben. So wie seinem Credo, als Gegen-Chronist den verhassten Medienberichterstattern, den "Fernfuchtlern" und "Giftschlammschmeißern" sein subjektives Empfinden und Beobachten entgegenzustellen. Den kurzen Sätzen der Medien stellt er weiterhin seine langen, kreisenden Sätze und Landschaftsidyllen, welche die Enklave gleichsam als locus amoenus erscheinen lassen, gegenüber.

Zwar ginge es zu weit, von einer "von Ressentiments zernagten Grammatik" zu sprechen, wie es die Zeit vor Jahren tat, doch gerade die vielen Fragen, die Handke immer wieder einfügt, um den Behauptungsgestus seiner Aussagen zurückzunehmen ("Systematisch? Nein, da war kein vorbereitetes Frage-System, keine vorbedachte Zielrichtung. Oder doch?") fordern stilistisch ihren Tribut.

Viel ist in den letzten Jahren spekuliert worden, warum ein Autor wie Handke, der in den gesellschaftlich unruhigen 1960er-Jahren als "Bewohner des Elfenbeinturms" jede Forderung nach Engagement schroff von sich wies, seine poetische Weltanschauung politisierte und sich ohne Netz unter öffentlichem Beifall und Buhrufen selbst demontierte.

Ästhetische Ohnmacht

Schließlich hatte er noch 1994 in seinem Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht geschrieben, "Was man Weltgeschichte nennt, [...] sollte möglichst draußen bleiben, [...] ich könnte dazu kaum etwas sagen, geschweige denn hinschreiben" und seine ästhetische Ohnmacht angesichts des "unendlichen Hindernislaufs der Welt" postuliert. Ohnmacht ist vielleicht auch im Zusammenhang mit diesem Buch ein gutes Wort. Oder nie aufgegebene Sehnsucht nach Heimatlichkeit und Beheimatetsein an einem Ort, der den Menschen als "Rampe für Augen und Ohren", wenn auch nicht als "Heimat, so doch als Zuflucht" dient. (Stefan Gmünder / DER STANDARD, Printausgabe, 9.3.2009)