Brüssel/Wien (APA) - Der Stabschef des neuen US-Präsidenten kam wieder einmal zu Ehren: "Never waste a good crisis", also: verschwende keine ordentliche Krise, zitierte Hillary Clinton Rahm Emanuels mittlerweile legendären "Sager" am Freitag in einer Diskussion mit hunderten jungen Europäern im EU-Parlament. Wiewohl die neue US-Außenministerin damit meinte, die gegenwärtige Wirtschaftskrise als Chance zur ökonomischen wie politischen Richtungsänderung in Sachen Umweltschutz und -technologie zu verstehen, kann das Motto auch für ihren ersten Auftritt auf dem alten Kontinent gelten: Clinton nutzte die transatlantischen Verkrampfungen, die sie und Barack Obama im Weißen Haus unter "zu erledigen" vorfanden, für eine politisch-atmosphärische "Charme-Offensive" auf allen Brüsseler Ebenen.

Obgleich sie ihn nicht korrekt zitierte - Emanuel mag als "Rahmbo" gelten, aber von einer "guten Krise" würde nicht einmal er sprechen (er sagte: "You never want a serious crisis to go to waste") - machte sich Clinton in Brüssel die Worte des Mannes zu eigen, der schon im Weißen Haus Fäden zog "als Bill dort war". Am Vortag hatte sie den NATO-Außenministern - mit Unterstützung aus London, Paris, Berlin und Rom - den "Neustart" mit Russland schmackhaft gemacht und dem Iran mit der Einladung zu einer Afghanistan-Konferenz ein weiteres Signal der Gesprächsbereitschaft gesendet. Am Freitag richtete sie ihre Antennen auf die nächste Generation potenzieller europäischer Entscheidungsträger - und erntete mit einer gewinnenden Melange aus sachlicher Kompetenz, kommunikativer Routine und einem wohldosierten Schuss persönlicher Emphase stehenden Beifall.

"The next generation takes the floor", die nächste Generation ist am Wort, lautete das Motto der Veranstaltung, die hunderte Jugendliche im Brüsseler Parlamentsgebäude, via Video-web-chat aber auch noch Tausende weitere in US-Vertretungen quer durch Europa mit Clinton ins Gespräch bringen sollte. Tatsächlich war es aber naturgemäß das Interesse, wie die ehemalige First Lady, Senatorin und erbitterte Wahlkampfgegnerin des neuen US-Präsidenten nun dessen Banner vom "Change" (Wechsel) in die Welt hinaustragen würde.

Clinton erfüllte die Erwartungen: Hatten viele Zuhörer wohl noch Donald Rumsfelds Schelte für "das alte Europa" im Ohr, pries sie das "Wunder Europa", das als Europäische Union seine längste Friedensperiode seit den alten Römern erlebe - nicht ohne subtil darauf hinzuweisen, das "wir (die USA) Erfahrung damit haben, verschiedene gesellschaftliche Bereiche und Kulturen so zusammenzuführen, dass sie als Ganzes mehr ergeben als die ihre Summe ihrer Teile".

Dramatische realpolitische Ankündigungen waren von dem Auftritt vor den Jugendlichen nicht zu erwarten gewesen, Clinton bekräftigte bereits bekannte Positionen der neuen US-Regierung. So etwa die Umjustierungen im Antiterror-Kampf mit dem Hinweis, viele Anschlagsplanungen kämen aus dem grenzübergreifenden Gebiet zwischen Pakistan und Afghanistan, das mittlerweile unter dem Kürzel "AfPak" firmiert. Oder das Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt - mit dem obligaten Hinweis, die radikalislamische Hamas könne in den Gesprächen kein Partner sein, da sie sich weder zu den Richtlinien des Nahostquartetts noch jenen der Arabischen Liga bekenne.

Auch was den Eben-nicht-Konflikt zwischen Maßnahmen gegen Wirtschafts- und Umweltkrise betrifft, verwies Clinton einerseits auf "längst überfällige" Maßnahmen, die nun in Obamas Konjunkturpaket für Investitionen in Umwelttechnologie und Energiesicherheit sorgen sollen, erinnerte aber anderseits einmal mehr daran, dass global nur sinnvoll agiert werden könne, wenn auch die aufstrebenden Umweltschmutz-Giganten wie China und Indien ins Boot geholt werden können: "Und das wird schwierig." Zu guter Letzt dann auch noch die Warnung vor dem ersten Zusammentreffen mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, bei allem Bekenntnis zu neuer Zusammenarbeit dürfe es "keine Missverständnisse" über gravierende Meinungsverschiedenheiten geben: "Wir gehen mit offenen Augen in diese Gespräche."

Letztlich sind es aber weniger diese mit unverkrampfter Entschiedenheit abgesteckten Wegmarken, mit denen Clinton am Freitag Eindruck machte, sondern der im Vergleich doch deutlich andere persönliche Stil, den die Nachfolgerin von Condoleezza Rice pflegt. Wenn sie etwa gegenüber EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering - der sie als "Role-Model" für engagierten Dienst an der Gemeinschaft begrüßt hatte - die EU als "unverzichtbaren Partner" der USA streichelt, dann zwickt es nicht ganz so sehr, wenn in der "Unterströmung" auch eine dezente Warnung transportiert wird: "Wir müssen aufpassen, nicht zu sehr fasziniert zu sein von der prozeduralen Komponente unserer Entscheidungsprozesse - weil wir uns sonst selbst paralysieren." Hillary Clinton ist es jedenfalls eindrucksvoll gelungen, manche Paralyse in den außenpolitischen Beziehungen der USA recht flott zu lösen - und die Botschaft zu vermitteln, dass die neue US-Administration guten Willens ist, das auch auf anderen Gebieten in Angriff zu nehmen.  (Von Michael Anheier/APA)