Wien - Für weitere Konjunkturpakete, die möglichst rasch umgesetzt werden, sowie die verstärkte Förderung von Kurzarbeit zur Abfederung der steigenden Arbeitslosigkeit sprachen sich Diskussionsteilnehmer am späten Donnerstag Nachmittag bei einer Veranstaltung der Arbeiterkammer in Wien zum Thema "Finanzmarktkrise und ihre Folgen" aus. Das staatliche Geld sollte auch in die "richtige Richtung" investiert werden und damit gleichzeitig ein Strukturwandel bewirkt werden, forderte etwa Siemens-Österreich-Chefin Brigitte Ederer.

Bei der Bekämpfung der Krise sei es bisher nicht gelungen, die verschärfte Kreditvergabe zu verhindern, so Helene Schuberth von der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Dies sei derzeit die größte Herausforderung. Deshalb müssten unbedingt weitere Konjunkturpakete folgen. Kritisch merkte die Ökonomin an, dass die EU bei den Konjunkturpaketen mit 0,9 Prozent des BIP Schlusslicht ist - in den USA seien es 5,8 Prozent und China habe das geplante Paket im Ausmaß von 7 Prozent gerade erst verdoppelt. "Erhöhte Staatsschulden sind nicht dramatisch, jetzt nichts zu tun, ist das teuerste für das Budget, wenn zum Beispiel die Arbeitslosigkeit dramatisch steigt", so Schubert.

Wirtschaft schrumpft rasant

Die Gefahr sei sehr konkret, dass die EU-Wirtschaft heuer um 3 bis 4 Prozent schrumpft, warnte Wifo-Experte Stephan Schulmeister. Damit wieder mehr investiert wird, schlägt Schulmeister eine von der EU angeordnete Ausweitung der staatlichen Defizite um 3 Prozentpunkte vor. Länder, die ihre Defizite nicht entsprechend ausweiten würden, sollten dafür bestraft werden. Um eine Aufspaltung der Gesellschaft in Arbeitende und Arbeitslose zu vermeiden, sollten Kurzarbeitsmodelle verstärkt gefördert werden. Die Arbeitslosenunterstützung sollte erhöht werden. "Wir haben die niedrigste Unterstützung in Europa", so der Experte. Die meisten Ökonomen hätten zudem keine Ahnung, was in der Realität passiert, kritisierte Schulmeister.

Ex-Bank-Austria-Investmentbanker Willi Hemetsberger hält eine globale Koordination der Konjunkturprogramme für wichtig. Er geht davon aus, dass es in Zukunft zwei Arten von Banken geben wird: Mit hohen Auflagen versehene "systemisch relevante Banken", die Einlagen und Kredite verwalten, sowie kleine Finanzinstitute ohne Staatsgarantie, wo sich die Innovationen abspielen werden. "Business as usual" werde es nach der Krise jedenfalls nicht mehr geben.

Maßnahmen für Osteuropa

Ederer würde sich auch Maßnahmen der EU für Osteuropa wünschen - auch für die Ukraine. Kunden sollten zudem wieder Geld zum investieren haben. "Ich sehe da noch keine Verbesserung, keine Bank traut noch der anderen", so Ederer. Generell sollten sich die Menschen in Finanzsachen wieder mehr auf ihren Hausverstand verlassen: "Es gibt keine Wunder auf der Welt." Von Analysten geforderte Gewinnerwartungen von über 10 Prozent seien langfristig nicht machbar, 5 bis 6 Prozent seien das Maximum. Die Vorschriften für Ratings gehörten geändert, mit drei privaten Ratingagenturen zu leben, sei schwierig. Ein Problem seien auch die Bilanzierungsregeln. Wenn keine stillen Reserven mehr erlaubt und nur mehr kurzfristige Aktionärsinteressen zählten, dann sei das fatal. Die Krise sei auch ein gesellschaftspolitisches Problem. "Eine Arbeitslosenrate von 15 Prozent ist Österreich nicht gewohnt. Es ist fraglich, wie die Gesellschaft darauf reagieren wird", so Ederer.

Albert Stranzl, Konzernbetriebsrat des Baukonzerns Porr befürchtet, dass es am Ende nicht die Banken, sondern die Bevölkerung treffen wird. "Der österreichische Arbeitnehmer wird irgendwann zur Kassa gebeten werden." Der Gewerkschaftler spricht sich für das Austrocknen von Steueroasen und die Förderung des sozialen Wohnbaus aus. Über kommunale Kredite sollte nachgedacht werden. Damit wieder etwas gebaut werden kann, sollte der Staat die derzeit nicht zu erhaltenden Bankgarantien für Bauträger ersetzen.

Basel II-Vorschriften verschärfen Krise

Hans-Helmut Kotz, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, fordert die Aussetzung der Basel II-Vorschriften, denn diese wie auch die Ratingagenturen hätten die Krise nur verschärft. Mittelfristig seien höhere Eigenkapitalunterlegungen aber unabdingbar. Ein Regulierungsversagen hätte es auch bei der Bilanzierung geben, indem Posten auf oder unter der Bilanz unterschiedlich behandelt werden konnten. "An einigen Stellen hat es Politikversagen gegeben, insbesondere die Regulierungsarbitrage wird von uns herausgenommen werden", so Kotz.

Schuberth sieht in der globalen Krise auch eine systemische Krise, die viel mit Regulierungsversagen der Aufsichtsbehörden zu tun hat. In den staatlichen Stellen sei das Wissen über diverse Finanzinstrumente verloren gegangen. Die Finanzindustrie habe die Staaten in Geiselhaft genommen. "Die Ungeheuerlichkeiten sind im legalen Rahmen passiert", so Schuberth. Da das Finanzsystem in die Lebensbedingungen aller Menschen eingreife, dürfe es jetzt nicht alleine von Experten, sondern müsse von der Zivilgesellschaft geregelt werden, forderte Schubert. (APA)