"Ein flinker musikalischer Tanz": Mary Ellen Butes Animationsminiatur "Tarantella" aus dem Jahr 1940.

Foto: Tricky Women/Mary Ellen Bute, Marian Stefanowski

Wien – Farben explodieren auf einem monochromen Firmament. Kolorierte Wolken schieben sich ins Bild, lavaartig ergießt sich Rot in dicken Schlieren. Color Rhapsody heißt der kurze Film aus dem Jahr 1948. Ein rhythmischer Farbrausch, eine psychedelische Miniatur – allerdings einige Zeit, bevor dieses Adjektiv Furore machte.

Mit Mary Ellen Bute (1906– 1983) präsentiert das Internationale Animationsfilmfestival Tricky Women diesmal neben Wettbewerben und Specials auch eine vergessene Pionierin der Filmgeschichte. Das Festival, das noch bis Montag in Wien stattfindet, zeigt damit einmal mehr, wie ausschließend die Avantgardefilm-Geschichtsschreibung lange war – und die Programmierung in vielen Fällen bis heute geblieben ist: Die gebürtige Texanerin studiert Malerei und Bühnenbeleuchtung. In den 30er-Jahren beginnt sie ihre Seeing-Sound-Serie – kurze Animationen, so heißt es programmatisch in Synchromy No. 2 aus dem Jahr 1935, "entwickelt von einer modernen Künstlerin, um über das Auge Stimmungen zu wecken, so wie die Musik dies durchs Ohr tut."

Anfänglich arbeitet Bute noch in Schwarz-Weiß und unter Verwendung gegenständlicher Aufnahmen. Aber bald lässt sie vor allem abstrakte Formen, geometrische Figuren in bunten Farben, auf der Leinwand tanzen, entwickelt vielschichtige kleine Choreografien für pulsierende Lichtpunkte, stampfende Balken, feine Kringel oder zappelige Strichreihen.

Die Musikstücke, die Bute zu ihren Bildspuren inspirieren, stammen oft aus dem klassischen Repertoire. Die Grundlage für Tarantella (1940) bilden allerdings mathematisch erstellte Rhythmen, die der Komponist Edwin Gerschefski in ein Klavierstück und Mary Ellen Bute in Visuals übersetzt. Für ihre letzten abstrakten Arbeiten schließlich, die sie Anfang der 50er herstellt, experimentiert sie bereits mit elektronisch generierten visuellen Effekten und kann damit durchaus als Vorläuferin von Videokunst und digitaler Animation gelten.

Die Musik spielt auch in Nina Paleys Sita Sings The Blues eine wichtige Rolle: Der Langfilm der US-Cartoonistin führt das indische Ramayana-Epos mit einer gegenwärtigen Parallelhandlung und mit Tonaufnahmen der Sängerin Annette Hanshaw aus den späten 1920er-Jahren zusammen. Die unglücklich liebende Sita wiegt ihr kugeliges Becken zu den bittersüßen Songs – in opulenten Revueszenarien, in denen aber zum Beispiel statt Chorus Girls tierische Kämpfer (oder deren Köpfe und Gliedmaßen) durchs Bild wirbeln. Paleys detailverliebter, stilistisch und technisch vielseitiger Film, der in mehrjähriger Kleinarbeit entstand, entwickelte sich im Vorjahr rasch zu einem Festivalüberraschungserfolg. In Wien wird Paley ihre Arbeit und außerdem ihr alternatives Vertriebskonzept vorstellen. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.3.2009)