1999 Transparenz

Michael Hausenblas: Durchsicht war Ende der 90er gefragt. Die Ergebnisse waren wenig handfest. Der Sessel "La Marie" von Philippe Starck zum Beispiel könnte die Villa eines kolumbianischen Drogenbosses in "Miami Vice" ebenso bestücken wie den Salon eines französischen Palais, dessen Hausherr etwas herzeigen will, wo Design draufsteht. Man schaut durch das Möbel von Kartell hindurch und bekommt Angst, dass es dabei zerbrechen könnte.

Foto: Hersteller

Ulf Poschardt: Die Transparenz ist ja eigentlich ein Trick, so zu tun, als wären Dinge nur schemenhaft da. Leider ist der Stuhl relativ unbequem und sieht auch danach aus. Das Stück folgt eher einer Logik des Bluffs und der Bühne, ein klassisches Utensil, um einen postmodernen, in allen Städten der Welt zu findenden Hoteltyp zu bestücken.

Foto: Hersteller

2000 Retro

Hausenblas: Die Leuchte "Fluidium" kam, als die Retro-Welle so richtig losschwappte. Das Stück steht für einen besonders unsinnlichen Ausdruck dieses Trends, der versucht, sich am Alten zu orientieren, und zu oft ganz ohne Vorausblick vor sich geht.

Foto: Hersteller

Poschardt: Die Rave-Generation, die heute in allerlei bürgerlichen Berufen arbeitet, wollte stets nach vorn, nie zurück - oder wie Westbam es sagte: Forward ever, backward never. Das gilt noch immer. Deshalb kann kein Mensch ernst genommen werden, der sich mit Austin Power verwechselt. Man könnte auch sagen: "Wenn Sie eine Wohnung oder eine Bar betreten, in der so was steht, gehen Sie sofort wieder raus, und betreten Sie diesen Ort nie mehr."

Foto: Hersteller

2001 iPod und Mini

Hausenblas: Kein Objekt hatte in der Produktwelt die vergangenen Jahre hindurch einen derart solitären Auftritt wie der iPod. Das Wunschkonzert im Hosensack auf Knopfdruck. Ein neu erfundener Alltagsgegenstand, der durch seine Gestalt und Bedienbarkeit zum Musthave schlechthin wurde. Der Mini steht für einen der gelungenen Auftritte von Retro-Design in der Autowelt, auch wenn man aufgrund seiner zu wenig hohen Windschutzscheibe kaum sieht, wann die Ampel auf Grün umschaltet. Sein Vorbild wurde von mehr als nur einer Generation geliebt, und auch sein formales Enkerl schafft es von seinem Auftritt her, irgendwie gerngehabt zu werden, was nur wenigen Autos gelingt.

Foto: Hersteller

Poschardt: Der iPod folgt optisch dem Design des Bauhauses und geistig dessen Prämisse absoluter Einfachheit. In diesem Falle: möglichst viel Technologie mit möglichst wenig Benutzerschnittstellen. Sein Erfolg beruht einerseits auf seiner Speichertechnologie und auf der anderen Seite auf der Abkehr vom bühnenhaften Pomp der Postmoderne. Der Mini zeigt, wie es gelingen kann, das Alte mit dem Neuen zu verbinden, ohne zeitlich irgendwo dazwischen im Niemandsland zu landen. Den neuen Mini-Kombi find ich besonders gelungen, und er dürfte weniger uniformiert erscheinen als die Herden schicker Angestellter, die im Mini durch den entfremdeten Alltag rollen.

Foto: Hersteller

2002 Re-Edition - "Correalistisches Instrument"

Hausenblas: Keineswegs als Antiquität kam Friedrich Kieslers "Correalistisches Instrument" 60 Jahre nach seiner Erfindung ganz ohne Staub in einer Re-Edition von Wittmann wieder zurück. Spannung zwischen Objekt und Umfeld stand für Friedrich Kiesler im Vordergrund dieses Projekts. Es handelt sich um ein Objekt, das als Ahn des organischen Designs gelten könnten, würde da nicht so viel mehr an Spannung und Idee dahinterstehen.

Poschardt: Großartig. Das ist eine Form organischen Formenreichtums, die sehr anzieht, ein wirklich fantastisches Objekt. Sehr schade, dass Kiesler nicht bekannter ist.

Foto: Hersteller

2003 Ikea-PS-Kollektion für Kinder

Hausenblas: Der Spielplatz hält Einzug ins Kinderzimmer: Bärlis, die einen festhalten, eierförmige Sitze, die Kinder verschlucken. Alle Stücke sind nicht nur Einrichtungsobjekte, sondern werden zum Spielzeug, das allerdings in keiner Kiste Platz hat.

Poschardt: Am besten ist es, wenn Kinder möglichst viel an Kindermöbeln ihrer Eltern und Großeltern übernehmen. Es ist fragwürdig, wenn man Kinder als Ausweitung des Statusbereichs möglichst teuer anzieht und mit Designermöbeln beglückt. Ikea ist sympathisch, weil es kein Statusgebären hat, allerdings bin ich mir bei vielen Objekten nicht sicher, ob es die besten Materialien sind.

Foto: Hersteller

2004 Fotohandy

Hausenblas: Schluss mit der Postkarte, Schluss mit den Momenten, die man als Erinnerungsbilder nur in seinem Gedächtnis mitnehmen kann. Eine erste Version von Beamen, vom zeitgleichen Teilen eines Bildes an völlig verschiedenen Orten. Kann man zulassen oder verdammen.

Poschardt: Jede Form medialer Öffentlichkeit ist sowohl etwas Gutes als auch ein echtes Problem. Das Fotohandy brachte eine Verschärfung des Lebens unter Schnappschussbedingungen. Ich boykottiere dies zumeist. Die Tatsache, dass schöne Augenblicke unwiderruflich vorbei sind, hat für mich etwas Beglückendes und Romantisches. Es gibt natürlich Ausnahmen. Den Satz "Schade, dass niemand einen Fotoapparat dabeihat" gibt es nun als Ausrede nicht mehr.

Foto: Hersteller

2005 Design und Kunst

Hausenblas: Die Annäherung von Kunst und Design kam unter anderem in Tierform: Eine Maus knabbert bei "Design by Animals" in eine Papierrolle, dann setzen die Designerinnen von Front das Ornament als Tapetendekor um. Marten Baas zündet Empire-Kommoden an und konserviert die Brandspuren unter Klarlack. Das Design bricht Grenzen auf und geht in Richtung Kunst. Auch Humor, Transformation, Experiment und Verspieltheit spielen eine neue Rolle in der Welt des Designs und zeigen der Tradition den Stinkefinger.

Foto: Hersteller

Poschardt: Das sind zwei wunderbare Beispiele. Das Starre und Dogmatische, für das Design im 20. Jahrhundert auch immer stand, wird hier spielerisch aufgelöst. Design funktioniert abseits funktioneller Zuschreibungen und erfreut mit Humor und Poesie.

Foto: Hersteller

2006 Wii-Konsole

Hausenblas: Wir fuchteln mit den Armen, und das Gerät übersetzt die Bewegungen unseres Körpers wie durch Zauberhand. Schwingt man den Controller, wird auf dem Bildschirm daraus je nach Software ein Golfschlag oder ein Schwerthieb. Früher wäre man für so etwas als Hexe verbrannt worden.

Foto: Hersteller

Poschardt: Im Gegensatz zum "Early Adopter" könnte man mich als "Latest Adopter" bezeichnen. Außerdem bin ich absolut low-tech. Ich beginne erst damit, Neues zu benützen, wenn andere sagen: "Das bringt was." Ich hab's früher mal mit Computerspielen versucht, aber verlor schnell das Interesse. Einzig der besonders anspruchsvolle DVD-Player und ein entsprechend guter Fernseher erscheinen mir als sinnvolle Investitionen. Wenn ich Sport mache, gehe ich raus. Mein Wohnzimmer ist eher ein altmodischer Ort für klassische Kulturtechniken, also Lesen und Hören.

Foto: Hersteller

2007 Elektroauto Tesla Roadster

Hausenblas: Rot und schnell wie ein Rennwagen, aber ein Elektroauto. Hier trifft die Welt des motordröhnenden Testosteronbombers auf Umweltschutz und alternative Antriebsenergie. Das Spannende und Wünschenswerte dabei: Diese Verbindung könnte halten.

Foto: Hersteller

Poschardt: Für jemanden, der schöne, alte Autos sowie den Lärm und Gestank von Verbrennungsmotoren immer geliebt hat, ist das die größte Überraschung der letzten Jahre. Mir wurde bei einer Testfahrt schlagartig bewusst, dass diesen Autos die Zukunft gehört, zumindest im städtischen Bereich. Der Tesla ist ein agiles und beschleunigungsstarkes Auto, das kaum jene lauten, teuren und stinkenden Sportwagen vermissen lässt. Dennoch werden die alten V-8-Enthusiasten in dreißig Jahren gerne von ihrer wilden Jugend auf der Autobahn berichten.

Foto: Hersteller

2008 Hocker "Plopp" von Oskar Zieta

Hausenblas: Was Designer mit neuen Materialien und Technologien anstellen können, zeigt auf formal verspielte Weise Oskar Zietas Schemel "Plopp". Weder weiß man, ob das Ding weich oder hart ist, noch ist es sonst treffsicher zuordenbar. Es ist ein charmantes, kleines Kerlchen, das organische Formen aufweist, aber in seiner metallenen Art auch den Touch von Blechschere und Fabrikshalle sehen lässt. Ein gelungener Nachkomme der aufblasbaren Objekte der 60er-Jahre.

Foto: Hersteller

Poschardt: Optisch ist das Stück sehr gelungen. Es hat was Verstörendes, Interessantes, und die Idee, dass man den Sessel aufblasen kann, gefällt mir als Weiterführung der alten Idee der aufblasbaren Möbel, die es ja schon seit 40 Jahren gibt. Vielleicht ist "Plopp" etwas zu aufgeregt, im Sinne einer Differenz zu anderen deutlich funktionaleren Möbeln. (Der Standard/rondo/06/03/2009)

Foto: Hersteller