Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Das kleine Lokal in Wien Mariahilf hat alle paar Wochen zugesperrt, dann den Namen gewechselt, ein paar Wochen lang unter neuem Management (aber immer mit dem gleichen Inventar) geöffnet gehalten und war dann wieder sang- und klanglos verschieden

Foto: Rottenberg

Es war vor ein paar Wochen. Da kam ich wieder einmal - nach wirklich langer Pause - vorbei. Und staunte: Alles sah anders aus. Nicht nur anders, als beim letzten Mal - sondern auch anders als beim vorletzten Besuch hier. Denn als ich das letzte Mal durch die Hirschengasse gewandert war und einen Blick auf das Lokal geworfen hatte, war da gar nichts. Kein Lokal jedenfalls: die Fenster waren blind. Es gab weder eine großes Schild noch Brauereilogo noch sonst irgendetwas öffentlich-gastroartiges: Das „Orange Cafe", verriet ein kleines, unscheinbares Schildchen neben der Tür, war jetzt der Sitz einer Cateringfirma.

„Das war es also", hatte ich zu mir gesagt. Und im Stillen mit einer langen, unregelmäßigen Serie abgeschlossen: Das „Orange Cafe" hatte mich über Jahre hinweg durch diese Kolumne begleitet. Das kleine Lokal in Wien Mariahilf hatte nämlich alle paar Wochen zugesperrt, dann den Namen gewechselt, ein paar Wochen lang unter neuem Management (aber immer mit dem gleichen Inventar) geöffnet gehalten und war dann wieder sang- und klanglos verschieden.

Viele Namen

Neben „Orange Cafe" hatte es hier „La Luna", „Kamincafé" , „S´Kamin" und „Böhm und Sung" geheißen. Etliche andere Namen habe ich aber schon wieder vergessen: „La Luna" blieb hängen, weil der Türgriff seit damals eine hölzerne Mondsichel ist. „Böhm und Sung", weil es seltsam ist. und die Kamin-Namen, weil in dem Lokal kein Kamin, sondern ein Kachelofen stand. Den sah ich beim Vorbeigehen immer. Gäste eher nie.

Das Beisl, hatte ich - so wie alle anderen Anrainer - rasch erkannt, ist in einem verfluchten Lokal situiert. Darum war ich auch nie reingegangen. Einzig, als ich das vorvorletze Mal - auch schon Jahre her - dort war, wich ich von diesem Pfad ab: Das Lokal war ausgebrannt. Und die Hackler drin hatten mich, als ich durch die Scheibe starrte, herein gewunken. „Warm abgetragen", hatte einer unterstellt.


Danach war da wieder ein Lokal entstanden - und gestorben. Und dann hatte ich das Catererschild gesehen und mich vom „Orange Café" verabschiedet. Ein Fehler. Denn die Geschichte geht weiter.

Taj Mahal

Neulich kam ich wieder vorbei. Und sah ein neues Schild. „Mirchi" heißt die Hütte jetzt. (Ja, mit R.) Und statt eines Beisls ist sei ein Restaurant. Indisch. Der Kachelofen ist weg - und dort wo er war, hängt ein Bild des Taj Mahal. In der Auslage, in der ewig (bei allen Lokalen unverändert) irgendwelches Stroh-Zeugs lag, stehen zwei goldene Buddha-Statuen. Oder zwei Elefanten. Egal. Hinter der Bar ist auch subkontinent-afines Design aufgebaut und die Kellnerin trägt Sari. Das Interieur ist neu - aber hat dennoch schon wieder ein wenig von jenem Studentenheim-Speisesaal-Charme, der ihm auch früher anhaftete. Aber die echte Sensation: Drinnen saßen Menschen. Und aßen. Der Fluch, war ich nun endgültig überzeugt, war also gebrochen.

Zwei Tage später ging ich wieder vorbei. Ein gast saß im Lokal. Ich kannte ihn. K. wohnt seit Ewigkeiten in der Gegend. Er ist Journalist. Früher schrieb er Blutgeschichten in der Kronen Zeitung, heute ist er stellvertretender Chronik-Chef bei Österreich. Ich hatte ihn seit Jahren nicht gesehen - und weile r allein da saß, ging ich Hallo-Sagen.

Hirsch

K. erzählte, dass er meine „Orange Café" Serie mitverfolgt habe. Und heute zum ersten Mal hier drin sei. Ob das Essen etwas könne, wisse er noch nicht - aber eines müsse er mir schon sagen: Auch wenn der Ort über Jahre verflucht gewirkt habe, sei das nicht immer so gewesen. „Früher, da hast du vermutlich noch in Favoriten auf der Gstetten gekickt, war das ein super Lokal. Es hat ,Hirsch ` geheißen - nach der Gasse. Und es war lange vor dem Gourmet-Beilsboom so was wie ein Haubenlokal. Aber das weiß heute keiner mehr."

K. lud mich ein, mit ihm zu essen - aber ich war verabredet. Die Kellnerin im Sari sah mich traurig an - und das löste in mir eine kleine Vorahnung aus: Vorgestern, gestern und heute bin ich wieder am „Mirchi" vorbeigegangen. Es war jedes Mal menschenleer. Die Kellnerin im Sari steht dort, wo all ihre Vorgängerinnen gestanden waren. Sie hat mittlerweile die gleichen resignierten Augen, wie alle Kellnerinnen, an denen ich hier in den vergangenen Jahren vorbei gegangen bin. (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 5. März 2009)