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derStandard.at: Das Publikum am Broadway reagierte sehr emotional auf das Stück. Teilweise weinte es bei den tragischen Momenten, oder vor Lachen. Wie ist es als Schauspieler, jeden Abend so intensive Charakter zu spielen?

Jennifer Kothe: Mit diesem Rockmusical bekomme ich die außergewöhnliche Möglichkeit zu erfahren wie es sein wird "jeden Abend so intensive Charakter zu spielen", da ich vorher noch nie als Musicaldarstellerin gearbeitet habe. Ich hoffe, dass jeden Abend das gleiche Maß an Intensität gebracht wird. Denn dieses ungewöhnliche Stück, mit seiner immer noch so wichtigen Botschaft an Jugendliche wie Eltern, hat nichts weniger als meinen größten Einsatz verdient.

derStandard.at: Welche Mechanismen/Tricks entwickelt man, um in die und aus der Rolle zu schlüpfen?

Wolfgang Türks: Während der Probenarbeit wächst der Charakter, den man darstellt, und damit er groß und stark wird, muss man ihn füttern, füttern mit Erinnerungen, Assoziationen und dessen kleinen Eigenheiten.

Ich konzentriere mich während einer Probe oder einer Vorstellung nur auf die konkrete Situation meiner Figur und einige äußere Eckpunkte wie Choreographien oder musikalische Einsätze. Das funktioniert dann wie ein Schalter, den man umlegt - und auf der Bühne geht das Licht an, mit allem, was sich während der bisherigen Arbeit angesammelt hat.

Kothe: Ich kann mich als Schauspielende nur meiner Fantasie und der Erinnerungen aus dem eigenen Leben bedienen. Und mit Konzentration und Sammlung vor dem Auftritt ruft man die Bilder ab, die helfen in die „Rolle zu schlüpfen". Da gibt es so viele Techniken sich zu sammeln und einzustimmen, dass man immer wieder Neues lernen kann.

derStandard.at: Stichwort Rock Musical: Autor Steven Sater meinte, dass die Jugendlichen in diesem Stück durch Rockmusik von ihren Sehnsüchten erlöst werden. Inwieweit hilft die Musik dir als Schauspieler deine Emotionen auszudrücken?

Kothe: Musik ist für mich das beste Mittel Emotionen zu erreichen, abzurufen und auszudrücken. Deswegen muss ich Musik machen - weil mir das Singen einen Weg zu meinem aufrichtigsten Selbst gibt.

Türks: Die Musik stellt eine zusätzliche Struktur dar, die schon eine eigene Aussage enthält. Wenn ich dann meine Emotionen singend dazu ausdrücke, ergeben sich Reibungen, Harmonien und Zwischenräume. Es ist, als hätte ich plötzlich ein Fahrrad und müsste nicht mehr zu Fuß gehen. Dies ist wahrscheinlich ein sehr persönlicher Eindruck und hat auch mit den spezifischen Songs meines Charakters zu tun. Für Moritz ist das Singen wie eine Befreiung von all der Schwere, die ihn belastet.

derStandard.at: Steven Sater meinte auch, dass alle Zuschauer wieder daran erinnern werden, wie es ist jung, unterdrückt, ohne Stimme und Recht zu sein. Hat deiner Meinung nach das Bild der Jugendlichen, die von den Erwachsenen nicht ernst genommen werden, heute noch Gültigkeit?

Kothe: Wenn dem nicht so wäre, hätte das Stück nicht diese herausragenden Erfolge gefeiert. Die Welt braucht wohl noch viele solcher Musicals, bis diese Themen ihre Gültigkeit verloren haben werden.

Türks: Das Hauptmotiv des Stückes ist für mich persönlich nicht zwangsläufig nur der Generationenkonflikt, sondern das Scheitern von Kommunikation, das in diesem Fall den Konflikt multipliziert. In Bezug auf Moritz, scheitern alle. Natürlich scheitern die unmenschlichen Lehrer, der überstrenge Vater, aber auch sein bester Freund Melchior, der ihm helfen will, aber das Ausmaß von Moritz` Angst nicht ermessen kann.

Frau Gabor scheitert. Sie hält die Androhung des Selbstmords für eine kindliche Überreaktion und unternimmt nichts. Und zu guter Letzt scheitert Moritz selbst. Er scheitert an seiner Angst, an seiner Angst zu versagen, nicht gut genug zu sein für die Welt, und er scheitert daran, das Wort zu seiner möglichen Rettung selbst auszusprechen. Bei Wedekind heißt es kurz vor seinem Selbstmord: "Ein Wort nur hätte es gekostet."

derStandard.at: Und heute? Sexualität, Depressionen: Es scheint über alles gesprochen zu werden.

Türks: Ich wage zu behaupten, dass diese Schwierigkeiten heutzutage nicht aus der Welt geschaffen sind und dass ein Großteil des Konfliktes zwischen Jugendlichen und Erwachsenen aus einem "EinanderNichtVerstehen" erwächst. Auf eine Art und Weise schaffen sie es nicht, sich einander verständlich zu machen. Sie haben, vielleicht mehr denn je, ein Problem damit, wirklich miteinander zu sprechen, einander wirklich zuzuhören. Und
dieser Umstand ist alleine schon Grund genug, ein solches Stück auf die Bühne zu bringen. Vielleicht erreichen wir mit „Frühlingserwachen" sogar, die Zuschauer zu einer klareren Kommunikation mit ihrer Umwelt anzuregen.

derStandard.at: Die internationale Presse feierte das Rock-Musical, als eine „Art Wunder" und als das beste junge Musical, das es seit Generationen gab. Inwieweit habt ihr euch am Original orientiert? Wie viel Respekt hat man als junger Schauspieler vor so einem erfolgreichen Original?

Kothe: Der Grundcharakter des Stückes ist nicht verändert worden. Texte wurden gekürzt und zeitgemäß adaptiert und die Beziehung zwischen Melchior und Wendla ist sehr viel eindeutiger als Liebesbeziehung erkennbar. Mein Respekt vor dem Originalmusical vom Broadway ist groß und ich hoffe wir treten auch ebenso erfolgreich in diese Fußstapfen. Aber noch größer ist der Respekt vor Wedekinds Tabustück und größer auch die Freude, dieses Stück wieder aufleben zu lassen, das so aufwühlend war zu seiner Zeit und von seiner Wirkung bis heute nichts verloren hat.

derStandard.at: In der Rolle wirst du nun dem Wiener Publikum bekannter werden. Erzähl ein bisschen von dir. Wo wurdet ihr ausgebildet? Wie sind eure Karrieren bislang verlaufen?

Türks: Ich wurde in Mönchengladbach geboren, habe 2004 mein Diplom als Musicaldarsteller an der Bayrischen Theaterakademie August Everding gemacht und von 2004 bis 2008 Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar studiert. Als Musicaldarsteller habe ich u.a. im Prinzregentheater in München, im Theater Erfurt, im Theater Dortmund und bei den Bregenzer Festspielen gespielt und 2005 den 1. Preis im Bundeswettbewerb Gesang in der Sparte Chanson/Song gewonnen. Letztes Jahr, im November 2008, hatte meine erste
Regiearbeit, „Sterben" nach Arthur Schnitzler, am Theater Chemnitz Premiere.

Kothe: Ich begann 1999 mit Gesangsunterricht an der Musikschule Weißensee in Berlin bei meiner großartigen Frau Dietrich, die hier allerliebst gegrüßt sei, denn die Jahre unter ihren Fittichen brachten mich später 2004 an die Hochschule für Musik Hanns Eisler (ebenfalls in Berlin).

Zum Ende meines Studiums bekam ich über meine dortige Gesangslehrerin Frau Forbes (die mir geholfen hat wie keine andere) Nachricht über die Audition zu „Frühlings Erwachen". Neben dem Studium sang ich bei Andrej Hermlins „Swing Dance Orchestra", den „Honey Bees", den "Jazzvocals", unzähligen a cappella Formationen und unterrichtete privat einige Schülerinnen.

derStandard.at: Abschließend: Wie geht es für dich nach Spring Awakening weiter? Hast du schon Pläne oder konzentrierst du dich in den kommenden Wochen ausschließlich auf diese Aufgabe?

Kothe: Da ich in meinem Studium alle Kurse abgeschlossen habe und nur noch das Diplomkonzert im Sommer absolviert werden muss, kann ich mich hier voll und ganz auf dieses Abenteuer konzentrieren. Wenn es danach mit dem Musical noch in andere Städte geht, würde ich mich freuen wieder mit dabei sein zu können.

Türks: Es gibt Überlegungen, Pläne, Sehnsüchte, aber nichts Fixes. Ich konzentriere mich auf die Arbeit und lasse mich überraschen, was die Zeit noch so bringen wird. (jus, derStandard.at, März 2009)