Wien - Protestbriefe fast im Minutentakt: So bildete sich die erste Aufregung der Lehrer im elektronischen Leserpostfach ab. Nimmt man die Zahl der Zuschriften als Maß, dann ebbt die Erregung auch nicht ab, ein paar hundert Briefe, vor allem E-Mails bis Mittwoch, sind ein deutlicher Hinweis. Die Reaktionen sind heftig wie bei keinem anderen Thema.

Missachtung der geleisteten Arbeit, rechnerisch falsche Vergleiche, irreführende Argumentation: Das sind die Kritikpunkte, die von den meisten Briefschreibern in den Vordergrund gestellt werden.
"Sich nur in die Klasse zu stellen, um ständig aktualisiertes Fachwissen weiterzugeben, wie die ,Hoheiten und Nichtsachkundigen‘ es sich wahrscheinlich vorstellen, reicht bei weitem nicht aus": So formuliert es Ingrid Papst-Gerstl, Hauptschullehrerin aus Sinabelkirchen. Dieses Argument findet sich in vielen Protestbriefen. Minutiös wird vorgerechnet, wie viel Arbeit neben der eigentlichen Unterrichtsstunde zu verrichten sei. Eine Volksschullehrerin aus Wien-Döbling zeigt auf, dass sie auch dann keinen Vier-Stunden-Arbeitstag hat, wenn ihre Kinder um 7.45 Uhr in die Schule kommen und um 11.55 Uhr wieder gehen. Die meisten würden einfach nicht sehen, was Lehrer als Multitasker in ihrer "Freizeit" zu Hause leisten.

Wobei die Volksschullehrer betonen, dass sie schon jetzt zu 22 Unterrichtsstunden verpflichtet sind. Die von Ministerin Claudia Schmied ins Treffen geführten Zahlen der OECD werden durchwegs angezweifelt. 607 Stunden Unterricht gibt die OECD an, "in Wirklichkeit steht ein Hauptschullehrer jedoch im Schnitt 756 Stunden in der Klasse" , entgegen Brigit Heiß aus Schwaz in Tirol.

Sprechstunden, Kleingruppenbetreuung und individuelle Schülerbetreuung, Lehrausgänge, die Verpflichtungen eines Klassenvorstandes, ganz- oder mehrtägige Veranstaltungen mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung würden nicht in Rechnung gestellt, wird geklagt.

Überhaupt: Eine Unterrichtsstunde bedeute eben eine weitere Stunde zur Vor- und Nachbereitung - zwei Stunden mehr in der Klasse machten daher vier Stunden Arbeit aus. Karl Scheuringer, Universitätslehrer an der Universität Salzburg, argumentiert mit der Verbesserung von Schularbeiten in einer AHS-Oberstufenklasse: "Das heißt, nicht nur mit dem Rotstift drüberzufahren, sondern Kommentare zu Verbesserungsmöglichkeiten, Kritik und Lob zu formulieren. Ein Durchschnittswert von einer Stunde pro Schularbeit ist nicht zu hoch angesetzt. Jetzt nehmen Sie eine Klassengröße zwischen 20 und 30 an, mal fünf bis sechs Klassen mal vier bis sechs Schularbeiten. Da sind Wochen dabei, wo man mehr als 80 Stunden arbeiten muss. Der normale Schulbetrieb mit Unterricht, Vorbereitung, Elterngesprächen, Gesprächen mit Schülern läuft ja weiter."

Und schließlich das ökonomische Argument: "Frau Minister Schmied lügt oder kennt sich nicht aus, wenn sie behauptet, zwei Stunden Lehrverpflichtung mehr würden zu keinen Kündigungen führen. Beide Möglichkeiten sind gleich ärgerlich" , formuliert Scheuringer drastisch.

Den meisten E-Mails gemein ist die ausdrückliche oder zwischen den Zeilen zu lesende Zustimmung zu Reformschritten. "Änderungen müssen sein, aber nicht in dieser Form, nicht in dieser Art" . Die überfallsartige Ankündigung der Maßnahme durch die Ministerin hat die Gesprächsbereitschaft der Lehrerschaft auf null gesenkt.

Einer für viele: "Ich bin bereit für viele Veränderungen, da ich fest davon überzeugt bin, Schule muss immer ein Prozess der Erneuerung sein. Aber nicht so." (Otto Ranftl, DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2009)