Ein Mann mit natürlicher Autorität: Walt Kowalski (Clint Eastwood) genügt schon der Finger, um sich Respekt zu verschaffen.

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Wien - Man möchte diesen Mann nicht zum Nachbarn zu haben. Walt Kowalski ist ein verbitterter Mann, der aus seinem Groll kein Hehl macht. Stocksteif steht er da, bei der Totenmesse für seine dahingeschiedene Frau, die Augen zu kleinen Schlitzen zusammengekniffen. Wütende Blitze zucken über sein Gesicht. Er hat seine Enkelin im Visier, die ihn zur Weißglut treibt - vor allem dieses Piercing, das sie für alle sichtbar am Nabel trägt. Sein Grant verschafft sich manchmal von selbst Gehör: Dann knurrt er wie ein alter bissiger Wachhund.

Zu Beginn von Gran Torino gewinnt man den Eindruck, dass hier ein Schauspieler mit Freude am Rande der Selbstparodie agiert. Nun hat Clint Eastwood in seinem imposanten Alterswerk schon öfter seine früheren Rollen als Eigenbrötler mit Ironie behandelt. Aber keiner noch erschien so übertrieben übellaunig, so ungebrochen missmutig wie Walt Kowalski - einer Figur, in der alle anderen Rollen von Eastwood aufgehoben sind: die namenlosen Outlaws aus den Italo-Western, natürlich "Dirty Harry" Callahan oder auch Bill Munny, der Schweinefarmer aus Unforgiven.

Aber dieser alte Mann, der in seiner Garage einen Ford Gran Torino aus dem Jahr 1972 bewacht, jedoch die Gegenwart nicht mehr versteht, weil er längst aufgehört hat, sich für sie zu interessieren - dieser Walt Kowalski ist auch eine ganz zeitgenössische Figur. Mit seinem unverhohlenen Rassismus, den Vorurteilen, die auch das Resultat seiner sozialen Abschottung sind, steht er für einen weißen Bevölkerungsanteil, der sich an etlichen Ecken Amerikas bereits in der Minderheit sieht.

Man wird es vielleicht nicht gleich bemerken: Abgesehen von Kowalskis Familie gibt es in diesem Film beinahe ausschließlich Angehörige anderer ethnischer Bevölkerungsgruppen. Wenige US-Filme, die sich nicht von vornherein als spezifische Milieuerkundungen deklarieren, haben diesen nuancierten Blick für die Gegenwart ihres Landes.

Eastwood und Drehbuchautor Nick Schenk lassen es bei dieser Konstellation nicht bewenden. Gran Torino gehorcht, mit einem Begriff des US-Kritikers Manny Farber, der Idee der Termitenkunst, die sich immer tiefer in gesellschaftliche Zusammenhänge frisst - und dabei gängige Begrenzungen aufhebt. Keine Seite hat nur eine Gegenseite. Kowalski, dieser Dinosaurier, der auf der Veranda in Ruhe sein Dosenbier trinken möchte, findet sich in einer Konfrontation wieder, in der es keinen neutralen Platz mehr gibt.

Zögerliche Annäherung

Eastwood bewegt sich hier entlang eines schmalen Grats. Denn allzu leicht könnte diese Geschichte um einen Unbelehrbaren, der sich mit einem ihm bisher verhassten Milieu auseinandersetzen muss, didaktisch erscheinen - als Läuterung, die diesem in letzter Sekunde zuteilwird. Den Weg der Annäherung mit der Hmong-Gemeinde - einer Minderheit aus dem Grenzgebiet zischen Laos, Vietnam und Thailand, die während des Vietnamkriegs auf US-Seite kämpfte - erzählt Gran Torino über die beiden Nachbarskinder. Ein jeder erkennt sich hier im anderen wieder, und so kommt man sich allmählich näher, ohne sich je ganz zu verstehen.

Als Sue (Ahney Her) und Thao (Bee Vang) von Straßenbanden schikaniert werden, setzt sich Kowalski mit grimmiger Autorität für sie ein, wenngleich er keinerlei Verantwortung anstrebt. Einmal bringt er ein paar Kids nur mit seiner zur Pistole geformten Hand zum Schweigen - so wird er zum Helden einer Community, der er nie angehören wollte. Später erscheint er auf einer Party als Überraschungsgast, eine Szene, die Eastwoods ganze ironische Inszenierungskunst enthält: Wie sich der alte Mann durch die Menge schleicht, von neugierigen Blicken begleitet; wie er es nicht lassen kann, an einer wackelnden Waschmaschine herumzuschrauben, damit sie endlich gerade steht.

Für immer "old school"

Die Freundschaft, die zwischen Thao und ihm entsteht, hat einen ebenso praktischen Kern: Kowalski will dem Heranwachsenden ein paar sinnvolle Tätigkeiten beibringen, damit er aus seinem Leben etwas herausholen kann. Doch bis zuletzt bleibt er ein Mann alter Schule - und das ist ganz wesentlich für diesen Film -, der seine Moral eher nach individuellen Erfordernissen ausrichtet. Als Koreakriegsveteran heckt er einen Plan aus, der auch seine eigenen Dämonen miteinbezieht.

Der Film beschert ihm schließlich ein Ende, das eigentlich nur großen Helden vorbehalten ist. Bis zu diesem melodramatischen Schlussakkord legt Gran Torino einen weiten Weg zurück: Von der anfänglichen Selbstironie gelangt er zu einem Moment, an dem ein Einzelner noch einmal eine gesellschaftlich wirksame Tat begeht. Man wird den Eindruck nicht los, dass es Eastwood diesmal ernst meint mit seiner allerletzten Rolle - so souverän ist dieser Abgang eines "dirty old man". (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.3.2009)