Im Wienmuseum am Karlsplatz beschäftigte sich 2004 eine Ausstellung mit den "Gastarbajteri", wie die Gastarbeiter im südslawischen Raum lautmalerisch genannt wurden.

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Die moderne Form des Gastarbeiters: Ein polnischer Spargelstecher auf dem Feld in Deutschland.

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User Jan K. aus Wels fragt: In Österreich wird oft von türkischen Gastarbeitern und ihren Nachkommen gesprochen. Wie und warum kamen die  "Gastarbeiter" in die verschiedenen europäischen Länder?

derStandard.at antwortet:

Lieber Herr K.,

Die Geschichte der Gastarbeiter ist eine Geschichte der Missverständnisse. Oder, um mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch zu sprechen: Wir riefen nach Arbeitskräften und es kamen Menschen. Und die in nicht unbeträchtlicher Zahl.

Zum Beispiel nach Deutschland: Alleine aus der Türkei kamen ab 1961 nach einem Anwerbeabkommen zwischen den beiden Staaten mehr als 800.000 Gastarbeiter. Im Sinne des „Rotationsprinzips" sollten die Türken, meist junge, unverheiratete Arbeiter, zwei Jahre in deutschen Industrie- und Bergbaubetrieben arbeiten und danach in ihre Heimat zurückgehen und von neuen Gastarbeitern ersetzt werden. Lebten 1961 nur knapp 7.000 Türken in der Bundesrepublik, waren es zehn Jahre später schon beinahe 700.000. Das Rotationsprinzip fand kaum Anwendung, Unternehmen wollten nach zwei Jahren nicht auf ihre eben eingearbeiteten Mitarbeiter verzichten und sie durch neue, unerfahrene Gastarbeiter ersetzen. Und die "Fremden" wollten oftmals nicht wieder zurück in das Land, aus dem sie auf der Suche nach Jobs ausgezogen waren. So wurden es im Laufe der Sechziger- und Siebzigerjahre insgesamt fünf Millionen Menschen, die in Deutschland als Gastarbeiter ankamen und teils samt Familie als Migranten blieben. Neben den Türken waren dies vor allem Italiener, Griechen, Spanier, Jugoslawen und Portugiesen.

Oder die Niederlande. Dorthin kamen die ersten Gastarbeiter Ende der Fünfzigerjahre, vor allem aus den südeuropäischen Ländern Italien und Spanien. Die Regierung warb danach aktiv um niedrig qualifizierte Arbeiter, vor allem in der Türkei und in Marokko, weil dafür Bedarf in den neuen Industrien der Nachkriegszeit bestand. Zum Teil fuhren Unternehmer selbst in den Süden, um dort Arbeiter anzuwerben, zum Teil halfen ihnen die Behörden dabei. In den Siebzigerjahren strömten neben den Gastarbeitern auch Arbeitnehmer aus der früheren niederländischen Kolonie Surinam ins europäische Mutterland. Erst waren es vor allem Studenten, die an den niederländischen Universitäten studieren wollten, ab 1965 auch gering qualifizierte Einwanderer, die in den niederländischen Arbeitsmarkt drängten. Mit der Ölkrise 1973 ging die Phase des Wiederaufbaus, in der Arbeitskräfte im Ausland aktiv angeworben wurden, zu Ende. Das Rotationsprinzip zeigte aus vielen Gründen in den Niederlanden ebenso wenig Wirkung wie in Deutschland und Österreich, wo die Gastarbeiteranwerbung ähnlich vonstatten lief.

Heutige Hotspots der Gastarbeiter-Migration sind neben den russischen Großstädten Moskau und St. Petersburg, wo vor allem Menschen aus den südlichen Kaukasus-Staaten arbeiten, auch die arabischen Golfstaaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, sowie Singapur. Hunderttausende Gastarbeiter sorgen dort oft unter erbärmlichen Verhältnissen und ohne jeglichen rechtlichen Schutz für die menschliche Arbeitskraft, die hinter dem Boom am Golf steckt.  (red, derStandard.at, 4.3.2009)