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Über Krankheiten, die mit der Verdauung zu tun haben, wird nicht gern geredet. Leider reden auch die Betroffenen selber oft viel zu spät mit einem Arzt. In Österreich wissen nur 7,4 Prozent der Bevölkerung, was Morbus Crohn überhaupt ist.

Foto: Joern Pollex/Getty Images

Bis zu 80.000 Menschen leiden in Österreich an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn. 80.000 Menschen, die mit massiven Einschränkungen der Lebensqualität - vom Arbeits- bis hin zum Sexualleben - leben müssen. Sprechen will über eine Krankheit wie Morbus Crohn, die mit unkontrolliertem Stuhlverlust und Fisteln zu tun hat, dennoch niemand. Neben der Angst irgendwann den Darm zu verlieren, sind die Patienten auch noch mit Unwissen, Unverständnis und Tabuisierung konfrontiert.

Zirka ein Prozent der Bevölkerung leidet unter chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa, wobei jährlich zwischen 15 und 20 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner hinzukommen, Tendenz steigend. Bei Morbus Crohn handelt sich um eine Entzündung des Magen-Darm-Trakts, die sich vom Mund bis zum After ausbreiten kann und in Schüben verläuft. Die ersten Symptome sind wässriger Stuhl, Krämpfe im Unterbauch und rascher Gewichtsverlust. Am häufigsten treten die ersten Symptome zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr auf. Die Betroffenen fühlen sich abgeschlagen, leiden an Appetitlosigkeit und können auch Gelenksschmerzen oder Hautveränderungen haben. Tritt ein Schub auf, müssen Morbus Crohn Patienten bis zu 15 Mal und häufiger am Tag dringend eine Toilette aufsuchen und haben heftige Bauchkrämpfe und Fieber.

Gene als Einflussfaktoren

Im Unterschied zur Colitis Ulcerosa, die sich auf die Dickdarm-Schleimhaut beschränkt, kann Morbus Crohn den gesamten Verdauungstrakt betreffen, auch in tiefere Darmschichten vordringen und sogar andere Organe befallen. "Es gibt zunehmend neue Daten, die belegen, dass beide Erkrankungen gemeinsame genetische Wurzeln haben", weiß Walter Reinisch von der Universitätsklinik für Innere Medizin in Wien. Der Mediziner weist allerdings darauf hin, dass es nicht nur um ein Gen geht, das damit assoziiert wird, sondern "mehr als 30 Genorte". Diese könnten dann auch noch miteinander agieren und offensichtlich nicht nur die Bereitschaft für die Entwicklung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen erhöhen, sondern auch Einfluss auf den Verlauf haben, so Reinisch. Der Wehrmutstropfen: Man weiß darüber noch zuwenig um die Therapie auf die jeweilige Genkombination abstimmen zu können.

Großes Problem: Fisteln

"Bei Morbus Crohn durchwandert die Entzündung durch tiefe Geschwürbildungen alle Darmschichten und kann daher in benachbarte Organe einbrechen. Es kommt zu so genannten Fistelbildungen, Verbindungen zwischen Darm und benachbartem Organ", erklärt der Experte. Das kann etwa die Blase, die Scheide oder die Haut um den Anus betreffen. Das Problem: Über diese Fisteln können sich Eiter und Stuhl entleeren und das ist besonders beeinträchtigend für die Patienten. Bei 30 bis 40 Prozent der Betroffenen entwickeln sich diese verzweigten Gebilde. "Das ist ein riesiges Problem. Es betrifft die Intimzone, die Sexualität, das Körpergefühl und ist so ziemlich das Unangenehmste, das die Erkrankung produzieren kann", weiß Reinisch über die nicht nur körperlichen Beeinträchtigungen seiner Patienten Bescheid.

"Entfernung des Dickdarms keine Heilung"

Entzündliche Darmerkrankungen sind chronisch, das heißt, sie begleiten die Patienten ein Leben lang. Je früher allerdings mit der Behandlung begonnen wird, desto höher sind die Chancen trotz Krankheit ein qualitatives Leben zu führen. "Es wird zwar immer so kolportiert, dass Colitis Ulcerosa heilbar ist. Aber für mich ist die Entfernung des gesamten Dickdarms eine sehr radikale Form der als Heilung." Und selbst wenn die Erkrankung dann 'geheilt' sei, sei der Patient nicht beschwerdefrei, weil er keinen Dickdarm mehr hat. Das Leben mit einem Stoma (Künstlicher Darmausgang, Anm.) bringt entsprechende Einschränkungen mit sich. Oder der Chirurg bastelt aus dem Dünndarm einen so genannten Pouch, der an den After angenäht wird. "Aber auch in dieser Situation hat der Patient fünf bis sieben Stühle, die er nicht immer zurückhalten kann, oft nächtlichen Stuhl und der Pouch entzündet sich in 50 Prozent der Fälle. Die Entfernung des Dickdarms dem Patienten als Heilung zu verkaufen ist für mich nicht haltbar", so Reinisch.

Operationen nur bei Komplikationen

Behandelt wird daher so lange konservativ, bis es nicht mehr anders geht. Morbus Crohn kann man zwar auch nicht "wegoperieren", komme es aber zu irreversiblen Schäden, wie narbigen Engstellen im Darm, müsse operiert werden, so der Mediziner. Dasselbe gelte für die gefürchteten Fistelbildungen.

Geändert hat sich die Herangehensweise der Ärzte in der medikamentösen Therapie: "Früher haben wir mit jenen Medikamenten begonnen, die die geringste Wirkung hatten, erst danach ist man mit den stärkeren nachgefolgt. Nachdem man jetzt weiß, dass beides progressiv voranschreitende Erkrankungen sind, die von selbst nicht stehen bleiben, neigt man dazu mit den wirksamsten Medikamenten zu beginnen", erklärt Reinisch. Derzeit gebe es zudem einen heftigen Diskurs in der klinischen und wissenschaftlichen Landschaft darüber ob man Biologika frühzeitig, noch vor Immunsuppression, einsetzen sollte. Dafür werden gerade internationale Leitlinien erarbeitet. Biologika sind gentechnologisch hergestellte Medikamente, die körpereigene Antikörper imitieren, und daher in Entzündungen eingreifen können. In aktuelleren Studien hat sich gezeigt, dass diese Medikamente offensichtlich wirksamer sind als Immunsuppressiva.

Wurmeier: Hoffnung auf neue Therapieformen

In Entwicklung sind derzeit neue Behandlungsformen, die zum Teil kurios klingen. So bemühen sich Wissenschafter derzeit Wurmeier so aufzuarbeiten, dass sie als Arzneimittel einem Zulassungsverfahren unterworfen werden können. Reinisch erklärt die Wirkweise so: "Die Hypothese ist, dass Wurmeier imstande sind eine immunologische Antwort im Darm auszulösen, die jener Immunantwort, die bei Morbus Crohn entsteht, entgegenwirkt." Unter den neuen Therapieformen finden sich auch Versuche Milchbakterien so genetisch zu verändern, dass sie entzündungshemmende Botenstoffe freisetzen. "Hier gibt es Studien, die knapp vor der Umsetzung sind", weiß Reinisch. Auch Versuche mit nicht-embryonalen Stammzellen und Probiotika seien in Erforschung.

Rolle der Ernährung

Obwohl sich chronisch entzündliche Darmerkrankungen im Verdauungstrakt abspielen, weiß man fast nichts darüber, welche Rolle die Ernährung dabei spielt. „Es ist zwar nahe liegend, dass es schon mit der Ernährung zu tun hat, dass diese Erkrankungen immer häufiger werden, wir wissen aber leider nicht, was es ist", erklärt Reinisch. Es habe zwar Studien gegeben, die versucht haben Cola und Fastfood damit zu assoziieren, aber die Ergebnisse seien nicht wirklich haltbar. Fazit des Mediziners: „Solange wir nicht mehr wissen, können wir leider keine richtigen diätischen Empfehlungen an den Patienten richten, außer das zu vermeiden, was sie nicht vertragen." (Marietta Türk, derStandard.at, 4.3.2009)