Schusswunden und Granatsplitter: Die Zivilbevölkerung wird zwischen Armee und tamilischen Rebellen aufgerieben.

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Vavuniya - Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) warnt vor einer humanitären Katastrophe in Sri Lanka. Im Nordosten des Landes, in der heftig umkämpften Region Vanni, seien mehr als 200.000 Zivilisten zwischen den Fronten unmittelbar im Kampfgebiet seit Wochen eingeschlossen. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten sei zusammengebrochen, Hilfsorganisationen werde der Zugang Region verwehrt. Der Zivilbevölkerung sei es fast unmöglich, zu fliehen - jene, die es doch schaffen, berichteten Schreckliches.

Die Lage im Nordosten Sri Lankas eskaliert, weil der seit 1983 geführte Kampf zwischen der Armee und der Rebellengruppe "Befreiungstiger von Tamil Eelam" (LTTE) an Heftigkeit zugenommen hat: Die Rebellen dürften auf einen schmalen Streifen Land im Nordosten der Insel zurückgedrängt worden sein.

Sri Lankas Staatschef Mahind Rajapakse hatte Anfang Februar vor der UNO den unmittelbar bevorstehenden "vollständigen Sieg" der Armee angekündigt. Wenige Tage später hatten Rebellen jedoch mit Leichtflugzeugen Bombenangriffe auf Colombo geflogen.

Die Menschen im heftig umkämpften Nordosten des Landes sind laut MSF schutzlos. Sie können sich lediglich in selbstgegrabenen Bunkern und Erdlöchern verstecken. "Die Menschen sind tagelangen Bombardements ausgesetzt. Sie hocken, umgeben von Toten und Verwundeten, in den Bunkern und haben weder Nahrung noch Wasser noch medizinische Versorgung", berichtet Annemarie Loos, Einsatzleiterin der "Ärzte ohne Grenzen" in Vavuniya.

In den vergangenen Tagen hätten es trotz der Kämpfe rund 35.000 geschafft, nach Vavuniya zu flüchten. Dort hat MSF Mitarbeiter im lokalen Krankenhaus - der direkte Zutritt zur Region Vanni wird Helfern seit September verweigert. Dort sollen mindestens 200.000 Menschen zwischen den Fronten gefangen sein.

"Die Flüchtlinge sind ohne jede Information über Angehörige, die nicht flüchten konnten", erklärt Loos. Viele Flüchtlinge kämen verletzt - etliche Wunden wären schon Wochen alt, bevor sie erstmals behandelt würden. "Neunzig Prozent der Verletzungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Kämpfen. Wir haben es vor allem mit Schusswunden und Granatsplittern zu tun." In Vavuniya habe man zuletzt über 300 Schussverletzungen behandelt. Loos: "Nur die Spitze eines Eisberges".

Aber noch schlimmer, so Loos, wären die Geschichten, die die Helfer hören: "Eine Frau erzählte, wie ihre 15-köpfige Familie nach tagelangem Beschuss aus Hunger den Bunker verließ. Drei Angehörige wurden auf der Stelle tödlich getroffen. Etliche blieben verwundet zurück. Was aus ihnen wurde, weiß niemand. Das ist nur eine von vielen Geschichten - und sie klingen alle ähnlich." (Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.02.2009)