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Europa werde durch eine Solidarität der Tat entstehen: ein Denkmal des EU-Pioniers Jean Monnet an lauschiger Stelle in Bukarest.

Foto: AP/Ghirda

Alles in dieser Krise wird einer Belastungsprobe ausgesetzt. Europa selbst ebenfalls. Die Schwächen zeigen sich jetzt alle, sie rühren daher, wie die EU in den vergangenen 20 Jahren - politisch wie wirtschaftlich - konstruiert wurde. Wenn ein Schott bricht, tun es die anderen sehr wahrscheinlich auch - das haben wir an den Investmentbanken im letzten August gesehen.

Beginnen wir mit der Eurozone. Für jene, die drin sind, ist der Euro eine Quelle der Stabilität in diesem Sturm. Jene, die eine Mitgliedschaft anstreben wie beispielsweise Polen, würden beten, bereits dabei zu sein. Selbst in Großbritannien brach die Diskussion wieder auf, ob das Land nun mit dem Euro besser dran wäre oder nicht. Dennoch traten zur selben Zeit wieder Spannungen zwischen einzelnen Mitgliedern der Eurozone auf. Und die gehen auf deren ursprünglichen Entwurf zurück.

Ein japanischer Analytiker, gefragt nach der wichtigsten Lehre aus dem Jahrzehnt der Stagnation des Landes, sagte: Man muss die engstmögliche Kooperation zwischen der Währungsinstanz und den Steuerbehörden anstreben. Die Eurozone hat eine Währungsbehörde und sechzehn verschiedene staatliche Finanzbehörden. Diese sind in der Praxis durch den Wachstums- und Stabilitätspakt nur locker gebunden, während sie gleichzeitig immensem politischem Druck der jeweiligen Staaten unterworfen sind. Das hat Konsequenzen. Weil sich die Regierungen der Eurozonenländer unterschiedlich verhalten haben über die Jahre, wurden beispielsweise ihre Anleihen in den Märkten unterschiedlich bewertet.

In Krisenzeiten verstärken sich diese Spannungen. Dem Investor geht die Sicherheit über alles. Je öfter Investoren so denken, desto größer werden die Unterschiede. Und schlussendlich muss etwas zusammenbrechen. Ein Ausweg, der übrigens kürzlich von George Soros und anderen befürwortet wurde, wäre, eine einzige Regierungsanleihe in der Eurozone zu schaffen. Da dies auch die schwächeren und risikoreicheren Regierungen mit- einbindet, hätte Deutschland z. B. etwas mehr für Geld aus diesen Anleihen zu bezahlen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wie das bei den deutschen Wählern ankommt. Wenn deutsche Steuerzahler dafür aufkommen müssen, um Griechen und Italiener vor den Konsequenzen ihrer eigenen steuerlichen Verantwortungslosigkeit zu retten? "Unerhört! Unmöglich!"

Langfristige EU-Interessen ...

Da unsere jeweilige Politik noch immer staatsbezogen ist, würden die Politiker bei den deutschen Wahlen im Herbst die Rechnung serviert bekommen. Für sie gibt es keine Wählerstimmen aus griechischer oder italienischer Dankbarkeit. Kurz gesagt, weil wir eine Währungs-, aber keine politische Union haben, werden Entscheidungen, die langfristige europäische Interessen über kurzfristige nationale stellen, zwar dringender gebraucht, aber weniger belohnt.

Misslicher ist die Lage jener osteuropäischen Staaten, die der EU während des letzten Jahrzehnts beitraten, aber mit Ausnahme von Slowenien und der Slowakei noch nicht in der Eurozone sind. In den letzten Wochen hat sie das Gewitter mit aller Macht getroffen. Sie sind weit davon entfernt, an Bord des Schiffs Europa Sicherheit zu finden, dafür wurden die engen finanziellen Verflechtungen mit Westeuropa Teil ihres Problems.

Vor zwanzig Jahren machten sie sich daran, den Kapitalismus ohne Kapital aufzubauen. Deswegen öffneten sie sich bereitwillig für westliche Investitionen. Die meisten ihrer größeren Banken gehören heute zur Gänze oder zum Großteil westlichen Eigentümern oder Aktionären. Als diese Banken von der Krise getroffen wurden, deren Ursachen nicht in ihrem Bereich lagen, hielten sich ihre westlichen Eigentümer zurück. Diese konzentrierten sich aufs Kerngeschäft, während Osteuropa Opfer einer flächendeckenden Warnung vor "riskanten Schwellenländern" wurde. Westliche Darlehen flossen immer weniger. Und als die osteuropäischen Währungen fielen, ließ man diese Länder mit den Rückzahlungen bestehender Darlehen in westlicher Währung kämpfen.

Noch einen Schritt dramatischer ist die Misere für jene Länder, die noch nicht in der EU sind: sozusagen der dritte Kreis der aktuellen europäischen Hölle. Selbst bevor die Finanzkrise zuschlug, verlor die EU deutlich an Anziehungskraft in Ländern wie der Türkei, Ukraine oder Bosnien. Schlimmer noch. Die Ukraine ist ein einziges Durcheinander. Es gibt alarmierende Berichte, dass sich Bosnien in Richtung Vergangenheit bewege, mit Staatslenkern, die die alten Teufel der ethnischen Trennung wieder hervorholen.

Ich behaupte nicht, dass diese Tendenzen sich in einem dieser drei Kreise in jedem Fall durchsetzen werden. Ich sage aber sehr wohl, dass die Zukunft des ganzen europäischen Projekts zur Diskussion steht. Die Kräfte von Integrationen und Desintegration, der Solidarität mit Europa und des nationalen Egoismus, des Zentripedalen und des Zentrifugalen, sind in einem sehr labilen Gleichgewicht. Es gibt einige wenige Anzeichen, dass Europa die Sache hinkriegt wie letztes Wochenende beim Gipfel in Berlin und die Ankündigung einer europaweiten Rahmen zu Überwachung der Finanzgebarung. Optimisten argumentieren damit, dass Krisen in der Geschichte immer Katalysatoren für die europäische Integration waren.

... über kurzfristige nationale

Klar ist, dass wir nicht dort stehenbleiben können, wo wir sind. Wenn wir nicht vorwärts gehen, dann können wir nur zurück. Vorwärts bedeutet nicht, und darauf möchte ich bestehen, in Richtung irgendwelcher idealisierter Vereinigten Staaten von Europa, sondern einfach eine praktikable Konstruktion, die stark genug ist, um schwere See abzuwettern. Ob wir es erreichen, hängt von drei Faktoren ab: globale Kräfte außerhalb unserer Kontrolle, die Qualität der europäischen Führungspersönlichkeiten und den Spielraum und das Vertrauen, mit dem sie von ihren jeweiligen Wählern ausgestattet werden.

Zu Beginn der Woche besuchte ich Jean Monnets berührend schlichtes Haus südwestlich von Paris. Dort finden sich Erinnerungsstücke an die Anfänge von dem, was später die EU wurde. Europa, erklärte Schuman bekannterweise, "lässt sich nicht mit einem Schlag herstellen und auch nicht durch eine einzige Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen."

Monnet selbst zitierte gern einen Ausspruch, nachdem es zwei Arten von Menschen gebe: jene, die jemand sein möchten, und jene, die etwas tun wollen. Selbst wenn sich die heutigen Führer der letztgenannten Gattung zugehörig erweisen, können sie in Demokratien nur soviel machen, wie wir, das nationale Wahlvolk, sie tun lassen. Ob ich jetzt nach Großbritannien blicke, nach Polen, Frankreich, Deutschland, Lettland oder nach Österreich, ich glaube nicht, dass wir sie genug machen lassen. (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.02.2009)