Frankfurt/Main - Führende deutsche Wirtschaftsexperten befürchten ab Sommer einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Der Konjunkturchef des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München, Kai Carstensen, sagte dem Onlineportal bild.de: "Jetzt setzen viele Firmen noch auf Kurzarbeit. Wir rechnen aber ab Sommer mit einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit." Derzeit wolle jedes dritte Industrieunternehmen Stellen abbauen. In der Metall- und Elektroindustrie ist es nach Angaben von Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser sogar jedes zweite.

"Rund die Hälfte unserer Unternehmen bundesweit rechnet damit, Personal in diesem Jahr abbauen zu müssen", sagte Kannegiesser der "Welt am Sonntag". Nach zweieinhalb Jahren Beschäftigungsaufbau habe die Branche im November und Dezember erstmals wieder Jobs verloren, insgesamt etwa 13.000: "Dies wird sich leider fortsetzen, trotz aller Bemühungen, Beschäftigung zu sichern."

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) erwartet zunächst eine weitere Flut von Erstanträgen auf Kurzarbeit. "Der Trend aus dem Jänner dürfte sich im Februar und März fortsetzen", sagte eine BA-Sprecherin der Wirtschaftszeitung "Euro am Sonntag". Insgesamt gehe man für das erste Quartal von rund 700.000 bis 800.000 Erstanträgen aus. Allein im Jänner seien etwa 290.000 Anträge gestellt worden.

Ifo-Experte Carstensen sagte, auch die Kurzarbeit werde für viele Firmen dauerhaft zu teuer. Für das Gesamtjahr 2009 rechnet er mit deutlich mehr Erwerbslosen als bisher prognostiziert: "Die Zahl der Arbeitslosen könnte im Jahresverlauf um bis zu 700.000 steigen."

Auch der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, erwartet, dass die Zunahme bei der Kurzarbeit den Anstieg der Arbeitslosigkeit allenfalls dämpfen wird. Im Jahresverlauf werde dann die Kurzarbeit von Entlassungen abgelöst werden. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norberg Walter, rechnet für 2009 mit dem Abbau von 600.000 Stellen.

Die durchschnittliche Arbeitslosenzahl werde damit von 3,3 auf 3,5 Millionen steigen, sagte Walter. Ein Ende des Jobabbaus sei zunächst nicht in Sicht: 2010 könnte die durchschnittliche Arbeitslosenzahl nach Einschätzung des Experten auf 4,2 Millionen steigen. Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer befürchtet sogar 4,34 Millionen. Im Jänner 2009 waren in Deutschland knapp 8,3 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung bzw. 3,5 Millionen Menschen arbeitslos. Im Jahresvergleich ging die Arbeitslosigkeit damit um 170.000 Betroffene zurück.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht auch deshalb von einer spürbaren Zunahme der Erwerbslosigkeit aus, weil die Firmen befristete Verträge nicht weiter verlängern. IW-Direktor Michael Hüther forderte laut bild.de daher, künftig befristete Arbeitsverträge über die derzeit geltende Dauer von zwei Jahren hinaus zu ermöglichen.

Kannegiesser sprach von dramatischen Zahlen in der Metall- und Elektroindustrie: "Im vierten Quartal haben unsere Firmen 25 Prozent weniger Aufträge als im Vorjahreszeitraum bekommen - das ist ein regelrechter Absturz." Die Produktion sei um acht Prozent gesunken, und der Rückgang werde sich noch beschleunigen. Die Kapazitätsauslastung habe im Jänner mit 76,6 Prozent ein Rekordtief erreicht, und die Tendenz sei weiter fallend.

Optimistischer äußerte sich der CDU-Europapolitiker Elmar Brok, der bereits im Mai 2010 eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt erwartet. Schon in diesem Spätsommer rechne die EU-Kommission mit dem Ende der konjunkturellen Talfahrt, sagte das Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments der Berliner Tageszeitung "BZ". Um die Weihnachtszeit werde es trotz des Winters mit der Konjunktur wieder aufwärtsgehen. Für die Arbeitslosen kämen die positiven Auswirkungen dann ein paar Monate später, sagte Brok. (APA/AP)