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Prima soziale Dienstleistung oder neue Form der Überwachung? Big brother is you, watching!

Foto: Jackson/ Getty Images

Vor kurzem hätte ich der Freund eines Königs werden können. Er jedenfalls hatte mich schon zu seiner Freundesliste hinzugefügt und nur noch auf mein Einverständnis gewartet.

Ich habe dann doch gezögert. Gilgamesch, König von Uruk? Der sumerische Herrscher himself, aus dem dritten Jahrtausend vor Christus? Wohl kaum. Vielleicht aber der Autor eines Buches gleichen Namens? Doch den kenne ich auch nicht. Wir sind von einer gemeinsamen Freundin vermittelt worden, die mir von früher im Gedächtnis geblieben ist. Und ich bin, dank Facebook, bereits in Freundschaften geraten mit Menschen, von denen ich nie vorher - und wenn ich es recht bedenke: auch seither nicht - in irgendeinen Austausch getreten bin. Aber es gibt Grenzen.

Jeder bewegt sich auf einer riesigen Bühne

Ich habe also höflich, wie es sich gehört, dem König gegenüber mein Bedauern ausgedrückt. Der Herrscher war sowieso nur eine Ausnahme wie die paar Micky Mäuse, die sich in sozialen Online-Netzwerken inkognito tummeln. In der Regel treten die Akteure mit wirklichem Namen, Foto und Geburtsdatum auf. Mindestens.

Das macht ja den phänomenalen Erfolg von MySpace, StudiVZ, Facebook und anderen, regional bedeutenden Netzwerken aus: dass jeder hier sich auf einer riesigen Bühne bewegen, verbreiten und darstellen, dass er alte Freunde wiedersehen und neue sammeln kann, unmittelbar, egal wo die anderen sind und ohne die Mühen traditioneller Annäherungsrituale. Eine neue Qualität sozialen Austauschs wurde geboren.

Die Unmittelbarkeit ist Teil des Rezepts mit Sogwirkung. Weniger als "FreundIn" ist gar nicht vorgesehen: Während Businessplattformen ihren Nutzern Bekanntschaften anbieten, sind es bei Facebook grundsätzlich gleich Freundschaften, und das angelsächsische You ist hier ein Du wie sonst nur bei Ikea, während man bei LinkedIn oder Xing noch per Sie angeredet wird.

Unter einem Dach

Die neue Weise, einander "Freundschaft!" zuzurufen, hat den Aufstieg der digitalen Netzwerke befeuert. Und sie hat, wie wir noch sehen werden, zu den wachsenden Problemen beigetragen, in Angelegenheiten von Privatsphäre, kommerzieller Ausbeutung und Überwachung.

Facebook, das am weitesten verbreitete Netzwerk, wurde vor genau fünf Jahren als moderne Fortsetzung des Harvard-Jahrbuchs gegründet. Bezeichnenderweise begann es - wenn man Wikipedias Eintragung trauen kann - damit, dass Mark Zuckerberg in leicht bewusstseinsverändertem Zustand ("I'm a little intoxicated, not gonna lie") mit Fotobüchern des College spielte, in dem aus zweien die jeweils attraktivere Person gewählt werden sollte.

Der Facebook-Gründer machte den Pennälerscherz onlinetauglich, weil er sich darüber ärgerte, dass die Uni Jahre brauchte, das Album ihrer Studenten in Umlauf zu bringen. Nach einem Monat war die Hälfte aller Undergraduates dabei, das waren ein paar tausend. Eine erweiterte Version verbreitete sich zunächst über einige US-Elite-Unis, dann über alle nordamerikanischen Hochschulen, Mittelschulen und schließlich über den Rest der Menschheit.

250.000 neue Nutzer am Tag

175 Millionen Nutzer waren laut Eigenangaben von Facebook vom 16. Februar im letzten Monat zumindest einmal aktiv, ca. 250.000 neue sollen sich pro Tag anmelden. Wenn man die Steigerungsraten verfolgt und die eigenen Aktivitäten und die von Bekannten - Freunden! - extrapoliert, dann ist das eine durchaus realistische Zahl. Man glaubt auch, dass die Datenspeicher des Unternehmens mit 14 Millionen Fotos versorgt werden - wiederum täglich.

Die neuen Netzwerke haben klug unter ein Dach gebracht, was sich Menschen im Netz wünschen und nur umständlich in verschiedenen Angeboten gefunden hatten. Sie wollen mit ihresgleichen schriftlich plaudern, Bilder herzeigen und betrachten, ein wenig in einem "zweiten Leben" schnuppern - etwa als König von Uruk -, neue Leute kennenlernen und alte Bekannte wieder finden, sich als Teil einer großen Bewegung fühlen oder eine kleine Bewegung starten.

Das alles wird ihnen ermöglicht, benutzerfreundlich und leicht verständlich, in immer mehr Muttersprachen. Es funktioniert. Es ist gratis. Also nichts wie rein.

Social utility

Facebook insbesondere versteht sich denn auch als "social utility", als "soziale Dienstleistung, die den Menschen hilft, mit ihren Freunden, ihrer Familie und ihren Kollegen effizienter zu kommunizieren".

Die technische Effizienz der vielen Möglichkeiten, in Kontakt zu treten, ist in der Tat nicht zu leugnen. Und wenn sich auch viele Unterhaltungen darin erschöpfen, dass übers Wetter und den Kater geschimpft, nach der nächsten Party oder der letzten Freundin gefragt wird; und wenn auch die Mehrheit der Fotos, vom Handy ins Netz gespielt, von einer Qualität sind, die es nie in Großmutters Familienalbum geschafft hätte: Es wäre doch immerhin zu überlegen, inwieweit die Netzwerk-Firmen zumindest die Chance bieten, dass sich Menschen neu verständigen, organisieren, gar gegenseitig aktivieren.

Das wäre die Realisierung des Traums, den die Netz-Pioniere, etwa die Electronic Frontier Foundation, in den Neunzigerjahren hatten. Sie stellten sich vor, dass das Internet die bürgerlichen Freiheiten nicht nur nicht behindern, sondern sogar erweitern würde; dass die Privatsphäre geschützt und kommerzielle Interessen kurz gehalten würden. Könnten nicht Facebook und Co diese Sphäre und die Freiheiten, wenn auch auf kommerzieller Basis, verkörpern?

Die amerikanische Computer- und Medienexpertin Danah Boyd ging dieser Frage nach. Bereits vor der Gründung von Facebook, als 25-jährige Studentin mit 278 FreundInnen auf Friendster (einem damals bedeutenden Anbieter), beschäftigte sie sich mit dem gesellschaftlichen Potenzial der emporkommenden "online society". Letztes Jahr, nach vielen Recherchen, wiederholte sie ihr Anliegen in einer internationalen Fachzeitschrift: "Can social network sites enable political action?" Doch schon der erste flüchtige Blick, sagt sie, belehrt uns eines Schlechteren. Es sei ein Irrglaube, dass eine neue Technologie eine entsprechende Praxis zur Folge habe.

"Aktive Egoisten"

Vielmehr werden die Techniken selbst durch gesellschaftliche Werte geprägt. Wenn zu diesen zählt, dass man sich möglichst oft und vorteilhaft selbst darstellt, dann werden die "Einstellungen" der Anbieter (in jedem Sinn des Wortes) entsprechend sein. Als die "aktivsten Egoisten" im Netz bezeichnete Boyd nicht "Frauen in provokanten Posen", sondern Musiker, Politiker und Marketing-Profis.

Kürzlich im Falter befragt, was sie von der immer perfekteren Vernetzung, mittlerweile auch per mobiler Kommunikation, halte, plädierte sie für Abwarten. Man wisse noch nicht, wie sich das alles entwickeln würde.

Andererseits hat Boyd bereits wesentliche Unterschiede zwischen einer traditionellen ("unmediated") Öffentlichkeit und ihrem vernetzten Gegenstück herausgearbeitet. Was immer Menschen im Netz tun zeichnet sich durch besondere Eigenschaften aus: Es ist auf Dauer gespeichert. Es ist durchsuchbar. Es kann kopiert und vermehrt werden. Es hat eine unsichtbare, unter Umständen riesige Leser- und Zuschauerschaft.

Nicht alle Bedingungen müssen dauernd erfüllt sein, aber nur innerhalb der neuen digitalen Welt können sie alle zutreffen. Das alleine genügt, um eine weitere Frage aufzuwerfen: Inwieweit haben wir noch Kontrolle über das, was wir in den elektronischen Kanälen anderen sagen und zeigen?

Es ist die alte Frage nach der Privatsphäre, unter neuen Bedingungen gestellt. Sie wird von den interessierten Parteien völlig unterschiedlich beantwortet.

Privatsphäre wird an der Garderobe abgegeben

"Wer sich bei Facebook registriert und dort sein Leben ausbreitet", zitiert die Welt Online den aufs Internet spezialisierten Anwalt Alexander Graf von Kalckreuth, "gibt seine Privatsphäre an der Garderobe ab." "Facebook respektiert deine Privatsphäre", heißt es hingegen auf dessen Homepage zum Thema Sicherheit. "Wir geben deine Benutzerinformationen nicht an Marketingfirmen oder Spammer weiter. Weitere Informationen findest du in unseren Datenschutzrichtlinien."

Diese, auf Deutsch, beginnen mit der Einschränkung, dass lediglich die englische Version legal bindend ist, und setzen mit einer 3600 Worte langen Erklärung fort. Sie besteht vor allem aus Hinweisen, wie sich Facebook um den Schutz persönlicher Daten kümmert, welchen Abkommen und unabhängigen Zertifizierungsstellen es deswegen beigetreten ist und warum es auch kein Problem ist, wenn das Unternehmen sehr wohl Informationen sammelt, "damit wir diese Daten und personalisierten Funktionen anbieten können. (...) (Wir) bewahren normalerweise eine Sicherungskopie für einen angemessenen Zeitraum auf, um die Rückkehr zur vorherigen Version dieser Information zu ermöglichen."

Wer sich durch diese und noch viel juristenlateinischere Absätze bemüht, wird sich als Nichtanwalt (aber auch als Anwalt) fragen, was etwa mit "angemessen" oder "normalerweise" gemeint ist und ob es neben Spammern und Marketingfirmen nicht Dritte geben könnte, die an den persönlichen Profilen der Nutzer Interesse haben. Oder ist das Ganze eh egal, weil es nicht auf Englisch ist?

Soziale Werbung

Unterm Strich bleiben vor allem die unterschiedlichen Darstellungen übrig, was soziale Netzwerke tun bzw. nicht tun und was sie tun könnten. Die Datenschützer konzentrieren sich naturgemäß auf Letzteres. Sie haben ein breites Feld vor sich, ein juristisches Schlachtfeld, auf dem die Fronten wegen des vielen verbalen Nebels kaum auszumachen sind.

Facebook selbst hat immer wieder Anlässe geliefert, an seiner Selbstdarstellung als nutzerfreundlicher Dienstleistung zu zweifeln. Bekannt geworden ist der Versuch, die Kaufpräferenzen von Usern an deren Freunde als "soziale Werbung" weiterzugeben. Beacon hieß die im November 2007 gestartete Verkuppelung von Shopping- und Sozialdaten. Nach einem Monat und vielen Protesten entschuldigte sich Mark Zuckerberg schriftlich bei seinen Kunden. Man hätte es zu einem Opt-in-Verfahren machen sollen statt einem Opt-out. Das heißt, es wäre besser gewesen, die Nutzer hätten sich in Beacon aktiv hineinreklamieren müssen.

Minimum an Privatsphäre

Sein späte Einsicht hat allerdings keine Parallele in den Nutzungsbedingungen von Facebook insgesamt. Die Basisoption sorgt bloß für ein Minimum an Privatsphäre. Wer sich besser schützen will, muss, bevor die Zustimmung zu den Bedingungen per Klick gegeben wird, die Optionen aktiv anders einstellen - zum Beispiel so, dass nicht jeder die Fotos von einem selbst sehen kann, die andere gemacht und mit Namen versehen haben ("tagging"), sondern nur die Freunde, oder nur man selbst.

Doch wer tut das schon? Die täglich zu Hunderttausenden Beitretenden klicken die Paragrafen weg und sich ins Netz, als wäre es das übliche Blabla wie bei einem Kauf auf Ebay. Nur dass es hier nicht um einen Toaster geht, sondern um die Frage, wer in Zukunft weltweit Zugriff auf die eigenen Daten hat. Trotzdem liest laut übereinstimmenden Untersuchungen weniger als die Hälfte die Vertragsabmachungen, weniger als ein Fünftel ändert die Einstellungen zur Privatsphäre.

Umstrittene Nutzungsbedingungen

Anfang Februar entfernte Facebook einen Absatz aus den Nutzungsbedingungen, der das Recht des Unternehmens auf Nutzerdaten beendete, wenn ein Konto gelöscht wurde. Das Unternehmen begründete das mit dem Hinweis, dass es unmöglich sei, alle an Freunde und von diesen weitergeschickten Informationen zu sammeln und zu entfernen. Daraufhin hatte es die "unveräußerliche, ewige, nicht-exklusive, übertragbare, voll bezahlte, weltweit gültige Lizenz", den User-Content beliebig zu nutzen - auch über dessen Abgang hinaus. Kurz, wie der Consumerist-Blog Anfang der Woche zusammenfasste: "We can do anything we want with your content. For-ever." Dies betraf zwar nur die Inhalte, die nicht schon von vornherein geschützt waren. Da das aber mehrheitlich verabsäumt wird, waren entsprechend viele betroffen. Die Lautstärksten meldeten sich im Netz und kündigten an, dass sie sich aus dem Netzwerk zurückziehen bzw. es verklagen würden. "Nutzungsbedingungen kann man nicht einseitig ändern. Wenn sie sagen würden, sie hätten ab nun das Recht, Gebüsch in deinem Garten auszurupfen, würde das vor Gericht bestehen? Ich glaube nicht."

Mittlerweile hat sich Facebook dem Protest gebeugt und die "Nutzungsbedingungen auf den alten Stand zurückgesetzt, (...) was uns auch unabhängige Experten empfohlen haben". Ein neuer Ansatz ist allerdings bereits in Arbeit.

Worum geht es eigentlich? Das Faszinierende - oder, je nach Gemütslage, Furchterregende - ist, dass mit dem rasanten Aufstieg der sozialen Netzwerke verschiedene gesellschaftlich relevante Momente zusammenfallen und -prallen, nämlich die eigentliche Mission von Unternehmen wie Facebook, die Bedeutung der Privatsphäre und, mit beiden zusammenhängend, die Gefahren von Überwachung und Kontrolle.

Hier ist eine Zahl, um die Größenordnungen zu veranschaulichen, auf die es der studentische Zeitvertreib inzwischen gebracht hat: Als Microsoft im Oktober 2007 einen 1,6-prozentigen Anteil an Facebook kaufte, zahlte es dafür 240 Millionen Dollar, was einen Marktwert von Facebook von rund 15 Milliarden bedeutete. Im Herbst 2008 wurde er auf ca. fünf Milliarden geschätzt. Aber, wie Zuckerberg sagte, das optimale Monetarisierungsmodell sei zurzeit nicht sein Problem; vielleicht in drei Jahren.

Facebook allein ist also als Schatz, als Marke, als zukünftig noch viel goldenere Goldgrube ein Milliardenbetrieb; gemeinsam mit den anderen Anbietern ein wirtschaftlicher Behemoth in einer Liga mit Google, nur dass man dort schon weiter ist mit der Monetarisierung.

Unbezahlte Arbeit der Nutzer

Was die Netzwerke zu bieten haben, sind nicht die Bannerwerbung und die Klickraten. Es gilt vielmehr in veränderter Form, was man seinerzeit über die klassischen "networks", nämlich die US-TV-Anstalten wusste: Ihr Produkt waren und sind nicht die Sendungen, sondern die Zuschauer, die man an die Werber verkaufen kann. Heute sind es in unvergleichlich präziserer Form die Informationen, die die "social networks" über ihre Kunden besitzen; ein Berg an Daten, in dessen auch noch so geheime Schluchten und Seitentäler Einsicht besteht.

Diese Tatsache lässt Kassandra-Rufer und Entwarner gegeneinander antreten. Die Definition dessen, was "privat" sei, ändere sich, schrieb Ari Melber in The Nation im Jänner 2008. Es werde nur mehr gefragt, wie viel man von sich hergebe, nicht ob überhaupt, und das sei erschreckend.

Ach was, konterte der Satire-Blog "Wonkette", Facebook sei doch nicht der Supergeheimdienst National Security Agency NSA, und wenn Amerika schon den Bach runtergehe (was Wonkette gerne zu glauben bereit ist), dann nicht wegen der sozialen Netzwerke.

Man könnte sich pseudohegelianisch aus der Affäre ziehen und sagen, das Recht auf Privatsphäre sei eben dialektisch gut "aufgehoben": irgendwo in Sicherheit - oder längst unwirksam. Oder man beobachtet, wie es immer wieder Vorstöße in Richtung "Monetarisierung" gibt, begleitet von Protesten, absichtlichen Missverständnissen, Entschuldigungs-Mails von Zuckerberg usw.

Facebook nun erwachsen

Jüngstes Beispiel waren die Äußerungen Randi Zuckerbergs, Marks Schwester und seine Marketingabteilungsleiterin, gegenüber dem britischen Telegraph. Konzerne seien von den Feedback-Mechanismen begeistert, die Facebook biete. Die Anwesenheit des Unternehmens auf dem Gipfel von Davos, wo das Interview stattfand, sei ein Beleg, dass Facebook nun erwachsen sei, quasi bereit, ernsthaft Geschäfte zu machen.

Kaum gesagt, kamen die Dementis. Randi sei falsch zitiert worden, hieß es aus der Zentrale im kalifornischen Palo Alto. Die vielen wörtlichen Zitate in der Zeitung aber legten zumindest nahe, dass der Verkauf der Daten an Dritte bald passieren kann. Damit gewinnt eine weitere Schreckensvision Gewicht: dass die Informationen nämlich nicht nur an Sony und Cadbury verkauft werden, sondern wirklich an die NSA, an sonstige Behörden, an die Personalabteilungen von Unternehmen (die sich bereits jetzt in den Netzwerken umschauen, wen sie da eventuell anheuern wollen). Facebook sagt: nie im Leben. Kritiker sagen: Es ist jetzt schon technisch möglich, und wenn es bereits passiert, werden wir es nie erfahren.

Die kanadische Kommunikationswissenschafterin Nicole Cohen schreibt in einem klugen Kommentar, dass "Surveillance" überhaupt die politische Ökonomie von Facebook darstellt. Seine Nutzer betreiben unbezahlte Arbeit, deren Wert das Unternehmen an neue Nutzer oder Dritte verkauft: ein prima Modell.

Prototyp einer Überwachungssgesellschaft

"News Feed", ein 2006 eingeführtes Programm, das Informationen über Freunde weitergibt, mag als Prototyp einer Überwachungsgesellschaft gelten, wie sie Orwell sich nicht ausmalen konnte.

In seiner stalinistisch gefärbten Dystopie galt: "Big Brother is watching you." Heute sehen die Netzteilnehmer, die sich gerne preisgeben, keinen Überwachungsstaat, sondern nur "FreundIn". Daher ist es kein Wunder, wenn sich der Protest gegen möglichen Missbrauch noch in engen Grenzen hält. Viele schaffen es, zwischen Isolation und Exhibitionismus eine neue Privatheit zu ermitteln. Und ebenso vielen ist es nicht nur kein Problem, überwacht zu werden, es ist vielmehr Teil des Spiels: Sie kontrollieren ja selbst, was die anderen tun, und ziehen Gewinn daraus. Von "lateraler Überwachung" sprechen Beobachter, und es gibt eine neue Formel für diese Zustände, ein Vierteljahrhundert nach 1984: "Big Brother is you, watching." (Michael Freund/ DER STANDARD ALBUM, 21. Februar 2009)