In Tagen wie diesen gibt es Ereignisse, die vor kurzem noch schlicht unvorstellbar waren: Da stellt sich die deutsche Bundeskanzlerin und überzeugte Marktwirtschafterin Angela Merkel, die selbst im DDR-Sozialismus aufgewachsen ist, hin und redet einer Enteignung das Wort, um eine in massive Schieflage geratene Bank verstaatlichen zu können. Umgekehrt rät der oberste Linkspopulist Deutschlands, Oskar Lafontaine, zu mehr Zurückhaltung bei der Verstaatlichung.

Um das Ganze noch zu toppen, unterstützt ausgerechnet der Hohepriester des Kapitalismus, der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan, die Verstaatlichung von Banken. Also jener Greenspan, der mit seiner Zinspolitik und seinem Deregulierungskurs zur derzeitigen Krise beigetragen hat. Auch Republikaner erheben inzwischen die Forderung nach einer weiteren Nationalisierung der US-Banken. Damit ist ein wesentlicher Pfeiler der Marktwirtschaft umgestürzt worden.

Weltweit werden nun Verstaatlichungen oder zumindest höhere Staatsbeteiligungen als Allheilmittel in der Krise angesehen. Es geht nicht mehr nur um staatliche Garantien, sondern um eine Eigentümerfunktion des Staates in Schlüsselbereichen der Wirtschaft. Das geht so weit, dass der CDU-Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, zu den Bossen von General Motors in die USA pilgert und Staatshilfen für Opelwerke anpreist.

Dass sich der Staat jetzt in verstärktem Maße direkt im Bankbereich engagiert, ist der nächste Schritt, nachdem bisherige Unterstützungsmaßnahmen wenig genützt haben. Allein in den USA wurden bereits 320 Milliarden Dollar zur Stabilisierung des Finanzsektors ausgegeben - aber der gewünschte Effekt ist bisher nicht eingetreten. So lange das Risiko nicht klar ist, mit dem jede einzelne Bank konfrontiert ist, wird das Misstrauen der Institute untereinander und den Kunden gegenüber andauern.

Also muss die nächste Stufe der Rettungsautomatik gezündet und wieder Geld des Steuerzahlers in die Hand genommen werden. Dass in Deutschland die Koalition aus CDU/CSU und SPD nun sogar Enteignungen als Instrument einführt, ist ein Novum. Dass dies ausgerechnet in einem Land geschieht, in dem vor exakt zwanzig Jahren der Kommunismus seine entscheidende Niederlage erlitten hat, ist ein Treppenwitz der Geschichte.

Aber längst gelten bisherige Tabus und Selbstverständlichkeiten nicht mehr. Selbst die engagiertesten Verfechter der Marktwirtschaft in Europa, die Briten, suchen ihr Heil in Staatshilfen für Banken: Die drei Großbanken HBOS, Royal Bank of Scotland (RBS) und Lloyds TSB wurden mit umgerechnet 42 Milliarden Euro unterstützt. Das Institut Northern Rock wurde völlig verstaatlicht, ebenso wie die kleinere Bank Bradford & Bingley. An der RBS hält der Staat die Mehrheit, eine volle Verstaatlichung wird dort ebenso wie für Lloyds diskutiert. Die drei größten isländischen Banken wurden unter Zwangsverwaltung und direkte staatliche Kontrolle gestellt.

In Österreich ist seit Anfang Jänner die Kommunalkredit verstaatlicht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Banken verstaatlicht werden. Von Gesetzes wegen ist dies möglich. Wer die Kursabstürze der Bankenwerte allein an der Wiener Börse in den vergangenen Wochen verfolgt hat, braucht nicht sehr viel Fantasie dazu. Es könnte der Fall eintreten, dass Großbetriebe wie die Voest, die vielen Menschen Arbeit bieten, infolge von Umsatzeinbrüchen auf staatliches Engagement auch in Form einer direkten Beteiligung angewiesen sein könnten.

Wer hätte das nach der Verstaatlichtenkrise gedacht? Alles scheint möglich in Zeiten wie diesen. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 19.2.2009)