Der Kosovo ist nach einem Jahr Unabhängigkeit nicht unbedingt viel unabhängiger geworden. Der Internationale Beauftragte, die EU und die UNO haben in einigen Bereichen das letzte Wort. Die Stimmung ist aber viel besser, die Menschen sind selbstbewusster. Prishtina wird hauptstädtischer, neue Häuser wachsen aus den Feldern rund um die Stadt, auf alte werden neue Stockwerke draufgesetzt. Im ärmsten Land Südosteuropas herrscht Aufbruchstimmung. Auch zusätzliche Schulen wurden errichtet und 100 Kilometer Straßen asphaltiert. Die Arbeitslosigkeit und die „Internationals" sind aber geblieben.

Die Präsenz der mächtigen Ausländer und die Tatsache, dass ein Teil des Landes nicht unter der Kontrolle der Zentrale in Prishtina, sondern des Nachbarlandes Serbien steht, lassen das Gefühl von echter Souveränität nicht wirklich aufkommen. Manche Kosovaren nennen das den „Als-ob-Zustand": Dazu gehört, so zu tun, „als ob" die Verfassung auch im serbischen Norden angewendet würde, obwohl die UNO mit Belgrad den Sechspunkteplan ausgehandelt hat, der die neue Verfassung unterminiert. Oder so zu tun, „als ob" man ein Staat mit Selbstverständnis sei, obwohl man in absehbarer Zeit nicht UN-Mitglied werden kann.

Immerhin kann die Unabhängigkeit nicht mehr als Horrorszenario instrumentalisiert werden. In der Realität werden die Minderheiten nicht schlechter behandelt als vorher. Es kam zu keiner Massenabwanderung von Serben, aber auch zu keiner Verbesserung der Beziehungen. Die großen Reformen müssen erst angegangen werden. So haben die Kosovaren in den zehn Jahren unter UN-Kontrolle gelernt, mit einem absurden Staat zu leben, jetzt müssen sie lernen, sich einen normalen vorzustellen. Das ist schwierig, denn sogar manche Europäer tun so, „als ob". Fünf EU-Staaten haben den Kosovo nicht anerkannt, obwohl sich alle 22 einig sind, dass er ein Teil der EU werden soll.

Deshalb gehört der Weg zu dieser Mitgliedschaft klar ausgeschildert: für den Kosovo, für Serbien und die EU. Die EU-Staaten können jetzt etwa Kompromissbereitschaft fördern, wenn sie mit der Aufhebung des Schengen-Visaregimes locken. Das wäre auch konsequent, denn wer den Staat anerkennt, der muss auch eine Politik machen, die sein Überleben sichert und also zur Kenntnis nehmen, dass der Kosovo von den Überweisungen der Diaspora abhängig ist. Oder dass Kosovaren zwar kein Asyl mehr brauchen, sehr wohl aber Gastarbeit, um ihr Familien zu finanzieren. Der Kosovo braucht Europa, er hängt noch an der Nabelschnur.
Dass auch die EU mit der Rechtsstaatmission im Kosovo präsent ist und demonstriert, dass Prishtina noch nicht ganz souverän ist, hat zumindest einen Vorteil. Nicht nur Prishtina, auch die EU muss zeigen, dass die organisierte Kriminalität nun nicht mehr mit Straffreiheit rechnen kann. Wenn dies gelänge, könnte der Kosovo sein schlechtes Image verbessern, das einiges verzerrt. So wird dort etwa eine Kultur der aufmerksamen Gastfreundschaft gepflegt, die Mitteleuropäer mitunter beschämen kann. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Printausgabe, 18.2.2009)