Birger S. Priddat

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"Lernen Sie Geschichte" - rät der Ökonom Birger Priddat den Kapitalmarktadepten. Und die Politiker sollten lernen, grundsätzlichere Fragen zum Bankensystem zu stellen, sagte er Leo Szemeliker.

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STANDARD: Herr Professor, wer hat jungen Ökonomen die Anything-goes-Einstellung beigebracht, die zur jetzigen Krise geführt hat?

Priddat: Die Art und Weise, wie Kapitalmärkte seit 15 Jahren an Institutionen wie Wharton oder Princeton interpretiert werden, brachte eine Art Korpsgeist mit sich. Diese Haltung ist - lax formuliert - karrieregeil, profitgeil. Die jungen Leute wollten später alle ins Investmentbanking gehen - die Adelskategorie der Business-Ausbildung.

STANDARD: Wo man ungeheuer verdiente?

Priddat: Genau. Diese Haltung prägte sie schon in ihrem Studium, die Professoren bildeten kein Gegengewicht. Sie haben die Haltung aber als zieladäquates Bewusstsein für den späteren Beruf missverstanden. So haben die jungen Leute angenommen, dass ihre Einstellung für sie, ihr Konto, auch für die Wirtschaft generell das Beste ist.

STANDARD: Letzteres war definitiv nicht der Fall.

Priddat: Es gibt Mängel in diesen Theorien. Extreme Situationen sind erstens in der Interpretation der Daten nicht mehr vorgekommen - es gab ein gedankliches Training zur Ausblendung von Extremata. Zweitens: In den Theorien sind Risikobewertungen zwar mitgelaufen, aber Risiken waren Gegner, die man zu besiegen hat. Drittens: keine Theoriegeschichte. Zu einer Kapitalmarktausbildung gehört aber die Historie von Finanzkrisen. Die Leute hatten kein Gefühl mehr für Muster.

STANDARD: Die seit der Tulpenkrise im 17. Jahrhundert bis zu den modernen Bubbles die gleichen waren?

Priddat: Ähnlich. Im Grunde weiß man, wie sich Blasen, Hypertrophie, Übererwartungen bilden - immer mit dem Phänomen der Risikounterbewertung.

STANDARD: Warum haben es viele trotzdem nicht kapiert?

Priddat: Die Leute lernten nicht, außerhalb der Märkte nachzusehen oder die Interdependenz von Märkten zu erkennen. Die Subprime-Krise, die in die Investmentbanken hineingewirkt hat, war eine Krise des Häusermarkts. Kein Kapitalmarktmann interessiert sich für Häuser. Die sehen sich nur diese strukturierten Papiere an.

STANDARD: Die als große Innovation galten.

Priddat: Es kam eine neue Bewegung in die Kapitalmarkttheorien: Mathematiker. Leute, die von Ökonomie meist keine Ahnung haben. Ökonomie heißt für mich: Verhaltensgleichungen, Interaktion von Menschen. Die Mathematiker haben komplexe Papiere strukturiert, mit vielen Risikofaktoren aus verschiedensten Märkten, die aber auch immer nur als Unterpapiere auftauchen. Die Ökonomen hätten dies mit rationaler Skepsis betrachten müssen. Sie haben aber eher die Mathematik dahinter, das intelligente Produkt bewundert. Daraus ergab sich die Einstellung: Wir machen die Zukunft.

STANDARD: Diese Elite hat nun die schlimmste Krise seit Jahrzehnten verursacht.

Priddat: Es war ja auch eine wahnsinnige Einbildung. Sie haben einander ein Weltbild suggeriert, eine neue Phase des Kapitalismus beschworen, mit Finanzdienstleistungen könne man ungeahnte abstrakte Wertschöpfung machen.

STANDARD: Haben diese intelligenten Leute ernsthaft geglaubt, dass das gutgeht?

Priddat: Sie haben sich nur untereinander beobachtet. Wenn jemand aber doch Risiken erfasst hat, kamen Glaubenssätze wie: Eine große Bank kann nicht untergehen. Dagegen sind die Rufer in der Wüste nicht angekommen.

STANDARD: Außer Lehman Brothers wurden alle gerettet.

Priddat: Aber Lehman war der Systembruch. Zuvor hatte man ja auch üble Hedgefonds gerettet. Die hätte man auffliegen lassen sollen, dann wäre Skepsis bei gewissen Papieren aufgekommen. Nach Lehman begann die bis heute anhaltende Bankenkrise, in der sich die Banken untereinander nicht mehr trauen. Dieser Mechanismus ist historisch gesehen singulär.

STANDARD: Wird jetzt alles anders?

Priddat: Ich glaube nicht. Es gibt diese Interpretation von Hajek über Marktprozesse, über die Lust, immer wieder ein Gewinndifferenzial zu finden, der Erste zu sein und große Gewinne zu machen. Es werden wieder die anderen nachkommen, bis wieder eine Herde entsteht.

STANDARD: Was halten Sie von Bad Banks?

Priddat: Möglicherweise muss man zu diesem Mittel greifen und alle Risiken rauskaufen, damit sich der Markt wieder normalisiert. Das geht auf Kosten der Steuerzahler. Das Kreditsystem selbst müsste daraufhin geprüft werden, ob Transaktionen in Richtung Geldmacherei überhaupt dessen Aufgabe sind, ob es nicht eher eine dienende Funktion für Unternehmen haben sollte. Realist wie ich bin, nehme ich aber an, dass sich zwischen Banken und Politik Interessen durchsetzen, die das verhindern. Das Gerede über eine neue Bankenehrlichkeit wird ein solches bleiben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.02.2009)