Frankfurt am Main / Berlin - "Briefe, die neueste Literatur betreffend" hieß eine Reihe, die der Verleger Friedrich Nicolai gemeinsam mit Gotthold Ephraim Lessing herausgab. Mit Moses Mendelssohn zusammen eine zwölfbändige "Bibliothek der schönen Wissenschaften und freien Künste". Heute beherbergt das Haus eines der wichtigsten Verlegers der Aufklärung, das sogenannte "Nicolaihaus", die Bibliothek des Stadtmuseums.

Vielleicht nicht mehr lange:Möglicherweise hält bald wieder ein Verlag, der sich der Aufklärung verschrieb, darin Einzug: Das barocke Bürgerhaus in der Brüderstraße 13 in Berlin-Mitte ist eine der Immobilien, die die Stadt dem Suhrkamp Verlag anbietet. Dass dieser aus Frankfurt am Main in die Hauptstadt umziehen wird, gilt nun als sicher. "Die Gesellschafter begrüßen mehrheitlich den Vorschlag der Geschäftsführung, den Verlag nach Berlin zu verlagern", verkündete eine Aussendung.

Die Formulierung besiegelt die Beilegung eines Streits, der den Verlag seit einiger Zeit blockiert hatte. Neben der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung, die 51 Prozent des Verlages hält, gehören 20 Prozent Unseld-Sohn Joachim, der nach dem Streit mit dem Vater einen eigenen Verlag gründete, die Frankfurter Verlags-Anstalt (FVA). 29 Prozent halten derzeit die Medienholding AG Winterthur. Gegenseitige Schuldzuweisungen und Klagsdrohungen gegen Letztere sind Vergangenheit. Ein eben verhandelter Vergleich bietet nun vielmehr der Familienstiftung ein zeitlich begrenztes Vorkaufsrecht für die Winterthur-Anteile.

Gerüchte besagen, dass die Aufbringung dieser Summe einer der ökonomischen Gründe für den Umzug sein mag (auch Joachim Unseld könnte möglicherweise seine Anteile verkaufen). Berlin wirbt seit drei Jahren heftig um den Verlag, bietet offenbar einiges an finanziellen Anreizen. Ein Verkauf der Frankfurter Immobilien - des derzeitigen Verlagssitzes in der Lindenstraße und der Villa in der Klettenbergstraße - verspricht mehrstellige Millionenbeträge.

Reduzierung der Belegschaft?

Zudem wird allgemein angenommen, dass nicht alle 160 Mitarbeiter der Einladung zum Übersiedeln nach Berlin Ende 2009 folgen werden. In einer Umfrage des Betriebsrats hatten sich 80 Prozent gegen den Umzug ausgesprochen. So böte dieser eine Möglichkeit des Stellenabbaus, befürchten Kritiker. Autor Adolf Muschg verließ aus Protest nach 35 Jahren Suhrkamp und wechselte zu Beck.

Nach Jahren der Häme gegen Siegfried Unselds Witwe Ulla Berkéwicz als neue Geschäftsführerin mehren sich nun aber auch Stimmen, die in ihren Entscheidungen Kühnheit und Weitsicht wahrnehmen. Sowohl die Neugründung des brillant edierten "Verlags der Weltreligionen" als auch die Reihe "edition unseld", die den Dialog der Natur- mit den Geisteswissenschaften anstrebt, weisen einen vielversprechenden Weg. Ein Umzug nach Berlin demonstriert denn auch eines: Offenheit für Veränderung. (Cornelia Niedermeier, DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.02.2009)