Der deutsche Zeichner, Bildhauer und Schriftsteller Ernst Barlach im Selbstporträt.

Foto: E.-Barlach-Haus-Stiftung H. F. Reemtsma

Wien - Im ersten Moment möchte man sich im changierenden Kolorit des Himmels verlieren, in jenen Blaunuancen, die man sonst nur aus der Reiseflughöhe kennt. An den meisterlichen Farbübergängen der Natur, vom tiefen Azur zu Cyan, zu Licht- und zu Blassblau, nahm man aktuell im Leopold Museum Anleihe. Airbrush-Technik mindestens, jedenfalls aufwändig.

Hier wurde ein eigenes Universum inszeniert, und es ist der Gattung Skulptur gewidmet. Aus dem Augenwinkel vermeint man auf Schulterhöhe einen Engel flattern zu sehen. Die in der Leere schwebende Zeit während des Ersten Weltkrieges, ein ganz spezifischer Stillstand und ein Gefühl, so Ernst Barlach, modellierte dieses nun an der Wand montierte Kriegsmahnmal.

"In den Engel ist mir das Gesicht von Käthe Kollwitz hineingekommen, ohne dass ich es mir vorgenommen habe" , ein Mutterantlitz voll Schmerz und Überwindung. Entartete Kunst, lautete ein anderes Urteil. Die Demontage musste der Bildhauer noch miterleben, keine zwölf Monate später begrub man ihn 1938 in Ratzeburg.

Für Rudolf Leopold sind Barlach und Kollwitz zwei "Verwandte im Geiste", denen er in diesen Ausmaßen erstmals in Österreich überhaupt Quartier gewährt. In Kooperation mit dem Ernst-Barlach-Haus bediente er sich aus deren Fundus. 35 Barlach-Skulpturen und 56 seiner Zeichnungen sowie eine Kollwitz-Bronze ließ er nach Wien transportieren. Dazu wählte er aus privaten und eigenen Sammlungen weitere acht Skulpturen und 64 Zeichnungen und Grafiken. Es ist eine Retrospektive, die ihre Vergleiche eher inhaltlich sucht als in der direkten Gegenüberstellung der Exponate. Separate Biografien, wohl mit Anknüpfungspunkten, aber ohne dokumentierte Treffen, und also getrennte Räumlichkeiten.

Gustav Peichl - nach Frankfurt (Städel-Museum) und Bonn (Bundeskunsthalle) nun erstmals als Ausstellungsgestalter auch in Österreich amtlich - oblag die Inszenierung. Ein publikumswirksames Ambiente war sein Ziel, Orientierung zu schaffen, ein Anspruch. Über drei Räume erstreckt sich also Peichls "Barlach-Avenue", in kunsthistorischer Chronologie von den Anfängen bis zum Todesjahr.

Expressionistische Verve

Das Ganze wirkt sorgfältig arrangiert, könnte bei starkem Andrang aber Spießrutenläufe zur Folge haben. Ästhetisch dennoch einwandfrei gelöst: Auf 40 Podesten lümmeln, hocken, kauern, schreiten und verharren die Skulpturen in angedeuteter Bewegung, dem Holz entschnitzt oder in Gips geformt, hauptsächlich jedoch in Bronze gegossen. Oft bedrückend in ihrer expressionistischen Verve, die nicht schön sein, sondern die Verlogenheit und den Idealisierungszwang etwa der Impressionisten vergessen machen wollte.

Menschliches Leid, Elend, Brutalität und Gewalt waren die Realität, wie Kunsttheoretiker Ernst Gombrich akklamierte, nicht die künstliche Unehrlichkeit und Süße klassischer Meister wie Raffael oder Corregio. Das Urtümliche gewann an Bedeutung; ideologischer Doppelbödigkeit ging es an den Kragen, auch bei Barlach und vor allem bei Kollwitz. So anklagend wie Kollwitz brachte es Barlach nur selten auf den Punkt.

Ihre Rundskulptur "Turm der Mütter" (1937/38) berührt und erschüttert mit schlichter Gestik. Barlach wählte andere Mittel: die Monumentalisierung von Bewegung, das Verharren im Augenblick, die teils irritierend lieblich fließenden Formen. Unter dem trügerisch blauen Himmel wurde der konventionelle Schönheits-Begriff verbannt und Kunst in ihrer emotionalsten Ausdruckskraft versammelt. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.02.2009)

Bis 25. 5.