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Wer mit Vorschusslorbeeren nur so überschüttet wird, hat es schwer, die Erwartungen zu erfüllen. Freund und Feind loben den neuen Rai-Chef, vor allem Italiens Journalisten aller Lager sind froh, dass mit Paolo Mieli endlich wieder ein Topjournalist das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen leitet.

Niemand kann Paolo Mieli mangelnde Fachkenntnis nachsagen: Mit 18 beginnt Mieli seine Karriere beim linksliberalen Wochenmagazin "Espresso", nach zehn Jahren wird er zum Chef des Magazins bestellt. Dann ein Wechsel zur Tageszeitung "La Repubblica", nach einem Jahr wirbt ihn Fiat-Chef Gianni Agnelli für seine Tageszeitung "La Stampa" ab, wo er 1990 Verwaltungsdirektor wird. Zwischen 1992 und 1997 leitet er den "Corriere della Sera", seither ist er Verlagschef des Rizzoli-Verlags, zu dem auch der "Corriere" gehört.

Mieli ist trotz seiner Ausflüge in den medialen Verwaltungsbereich immer Vollblutjournalist geblieben. "Ein Tier", sagt ein Freund, nirgends kann man ihn zuordnen. Er ist politisch unangenehm, zugleich aber immer höflich, er schreit nie, er lehrt, ohne den Zeigefinger zu erheben. "Zärtlich und sanftmütig" sei er gewesen als Vorgesetzter, rutscht gar einem Kollegen des Corriere heraus.

Auf jeden Fall ist der 54-jährige Römer besessen von seiner Arbeit, der dreifache Familienvater kennt keine Dienstzeiten, in der Nacht wird telefoniert und organisiert, Glückwünsche zu guten Artikeln überbringt er selbst.

Als Rai-Chef wird sich Mieli mit den politischen Vorgaben herumschlagen müssen, aber eines ist klar, niemand wird ihn unter Kontrolle halten können. Vorgeschlagen hat ihn die Mitte-links-Opposition, aber er dürfte sich auch ihr nicht verpflichtet fühlen. Die Rechte ist skeptisch bis ablehnend, gerade der Medienunternehmer Silvio Berlusconi ist es gewohnt, als Konzernherr aufzutreten, missliebige Journalisten zu maßregeln, ihnen auch offen ein Auftrittsverbot zu erteilen - Paolo Mieli wird wohl - zwar höflich und dezent - auch dem großen Berlusconi Nein sagen.

So hat er auch gleich am Tag seiner Designierung erklärt, dass er den beiden - dem Premier verhassten - Kollegen Enzo Biagi und Michele Santoro, die ins Abseits befördert worden waren, umgehend wieder eigene Sendungen geben wird.

Dass er kein leichtes Leben haben wird als neuer Rai-Chef, das wurde schon am Sonntag klar: Am Rai-Sitz in Mailand wurden rechtsradikale Schmähschriften gegen ihn gesprayt: "Mieli raus" (das "raus" in deutscher Sprache) und "Die Rai den Italienern, nicht den Juden", dazu keltische Kreuze, die Symbole der italienischen Rechtsextremisten. Mielis sprichwörtlicher Frohsinn wird nun auf eine harte Probe gestellt. (Andreas Feichter/DER STANDARD, Printausgabe vom 10.3.2003)