Männer, die das Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen: Peter O'Toole und Anthony Quinn in David Leans Opus magnum "Lawrence von Arabien".

 

 

Foto: Filmmuseum

Wien - Der Comedian Jon Stewart erlaubte sich bei der letzten Oscar-Verleihung einen Gag, der die Haare aller Cinephilen zu Berge stehen lässt. Mit Blick auf sein iPhone sagte er: "Ich schaue mir gerade Lawrence von Arabien an - aber um den Film wirklich zu genießen, muss man ihn auf Breitwand sehen." - Dabei drehte er das Handy in die Horizontale.

Erst der Film macht die Pointe. Tatsächlich steht kaum ein anderes Werk für die Wirkkraft der großen Leinwand wie David Leans Oscar-gekröntes Bio-Pic über T. E. Lawrence aus dem Jahr 1962. Man muss sich nur einen einzigen Schnitt vor Augen führen: Lawrence (Peter O'Toole) zündet kurz vor seiner ersten Reise in die Wüste ein Streichholz an und bläst es wieder aus. Die folgende Einstellung zeigt ein übermächtiges Panorama von Dünen just in dem Moment, in dem die Sonne aufgeht. Jemand hat die Erde entflammt.

Die Szene hat den fünfzehnjährigen Steven Spielberg angeblich erstmals auf die Idee gebracht, Filme zu drehen. Sie ist charakteristisch für die Spätklassik eines Kinos, das seine Opulenz noch ganz dem Abdruck der Wirklichkeit verdankt. Lean, 1908 in Croyden bei London geboren und in einer strikten Quäker-Familie aufgewachsen, war ein flamboyanter Regisseur, der auf die Sensation eines Bildes vertraute - auch im körperlichen Sinn des Wortes -, und er verstand viel von Arrangements: Seine ersten Erfahrungen hat er als Cutter, unter anderem bei Michael Powell, gesammelt.

Bewundert wird Lean bis heute vor allem für seine epischen Großtaten, die auch kommerzielle Erfolge waren - für Lawrence, Die Brücke am Kwai (1957), Doktor Schiwago (1965) oder Reise nach Indien (1984). Sie haben ihm den Ruf eines souveränen Handwerkers eingebracht, der sich wie ein Besessener mit Details aufhalten konnte; wochenlang soll Lean, erzählte Claude Chabrol, auf das richtige Licht gewartet haben, während er selbst das bloß tagelang machen würde. Dennoch wollte man in Lean lange keinen "auteur" sehen.

Stilistisch zeigt er sich jedoch bereits in seinen britischen Produktionen experimentierfreudig. In Brief Encounter (1945), einem von vier Filmen mit Beteiligung des Dramatikers Noël Coward, begegnet eine verheiratete Frau einem verheirateten Mann, und zwischen den beiden entspinnt sich eine Romanze, die schon daran scheitern muss, dass es für ihre Liebe keine Orte außer transitorischen wie Bahnhofscafés oder Kinos gibt. Die Melancholie, die über diesem Paar liegt, unterstreicht Lean mit widerstreitenden Schwarzweiß-Aufnahmen einer Stadt, in der alle außer den beiden Liebenden einem Ziel zuzusteuern scheinen.

Auch in seinen beiden Dickens-Adaptionen Great Expectations (1946) und Oliver Twist (1948) zieht Lean mehrere Register. Great Expectations, in dem ein Waise neue soziale Klassen erklimmt, wirkt manchmal wie ein Schauerstück mit beträchtlichen Attraktionen, fasziniert zugleich aber als Satire auf eine Gesellschaft, in der ein jeder eine Maske trägt. Lean, das zeigt dieses Frühwerk, war ein Regisseur, der auch schon im kleineren Format jede Menge Grandeur besaß. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.2.2009)