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Die Schädel von Neandertaler (rechts) und Homo sapiens sind nicht allzu verschieden. Doch wie groß ist der Unterschied in der DNA? Und worin besteht er?

Foto: AP/Frank Franklin II

Neandertaler waren unsere nächsten Verwandten, ehe sie vor rund 30.000 Jahren ausstarben. Nun hat ein Genetiker-Team eine erste Version des Neandertaler-Genoms vorgestellt. Es wird einige Rätsel rund um die vorletzte Menschenart erklären helfen.

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Chicago/Leipzig - Seit Monaten warteten nicht nur die Fachleute darauf, wann es endlich so weit sein würde. Und ehe es dazu kam, ereignete sich prompt ein Eklat: Die britische Wissenschaftszeitschrift Nature hatte bereits in der Vorwoche verraten, dass das internationale Forscher-Konsortium rund um Svante Pääbo am 200. Geburtstag Darwins eine erste Version des Neandertaler-Genoms präsentieren würde. Worüber die Wissenschafter ziemlich sauer waren.

Evolutionäre Beziehung

Der Vorabdisput zeigt, wie riesig das Interesse an der Erbsubstanz unserer nächsten Verwandten ist. Schließlich versuchen seit mehr als einhundert Jahren Wissenschafter die evolutionäre Beziehung von Neandertalern und heutigen Menschen aufzuklären. Und offene Fragen dazu gibt es gerade genug, obwohl über keine andere Menschenart außer dem Homo sapiens mehr bekannt ist als über den Neandertaler.

152 Jahre nach ihrer Entdeckung im Neandertal bei Düsseldorf weiß man unter anderem, dass sie eher klein und stämmig waren, einen langen, flachen Schädel hatten sowie Wülste über den Augen und ein fliehendes Kinn. Man weiß auch, dass sie in Europa und Teilen Asiens lebten und dass sie keine Vorfahren des Homo sapiens waren.

Man geht davon aus, dass sich unsere Entwicklungswege vor rund 500.000 Jahren getrennt haben und dass sie vor 30.000 Jahren ausstarben - rund 10.000 Jahre, nachdem der Homo sapiens aus Afrika nach Europa gekommen war.

Aber wie war das damals mit unseren Vorfahren und dem Neandertaler? Haben sie während der gemeinsamen Zeit neben-, mit- oder gegeneinander gelebt? Haben sie sich womöglich gepaart? Oder hat der Neuankömmling Homo sapiens etwas mit dem Aussterben der Alteingesessenen Neandertaler zu tun?

Einige dieser Fragen werden sich im Laufe dieses Jahres wohl klären lassen. Denn gestern haben das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und die 454 Life Sciences Corporation in Branford (Connecticut) auf einer interkontinentalen Pressekonferenz in Leipzig und Chicago die Fertigstellung einer ersten Version des Neandertaler-Genoms bekanntgegeben - und einige erste Erkenntnisse aus Vergleichen mit dem Menschen- und dem Schimpansen-Genom verraten.

Dass dieser echte Meilenstein in der Neandertaler-Forschung überhaupt möglich wurde, verdankt sich einerseits verschiedenen Neandertaler-Fossilien aus Kroatien, aus denen die Forscher rund um MPI-Direktor Svante Pääbo Genmaterial extrahieren konnten. Noch wesentlicher waren aber neue Methoden der DNA-Rekonstruktion, die von Pääbo, einem Pionier auf dem Gebiet der Erforschung alter Erbsubstanz, entwickelt worden waren.

60 Prozent entschlüsselt

Die beiden Gruppen haben gemeinsam mehr als drei Milliarden Basen Neandertaler-DNA sequenziert und somit die erste Version des gesamten Neandertaler-Genoms rekonstruiert. Insgesamt decken die Fragmente mehr als 60 Prozent des gesamten Neandertaler-Genoms ab.

Der weitere Plan besteht laut Pääbo darin, verschiedene Gene zu untersuchen, die für die neuere menschliche Entwicklung von besonderer Bedeutung waren, darunter FOXP2, ein Gen, welches beim heutigen Menschen in Verbindung mit Sprachfähigkeit gebracht wird. Die Leipziger Forscher hatten bei ersten Sequenzierungen bereits zeigen können, dass auch Neandertaler das Gen besaßen.

Außerdem sind die Forscher an Tau-Lokus und Microcephalin-1 interessiert, bei denen es sich um Gene handelt, die mit Alterung und der Entwicklung des Gehirns assoziiert werden.

Die nun präsentierten vorläufigen Ergebnisse des Konsortiums lassen jedenfalls Raum für weitere Forschungen: Einerseits hat man in heutigen Menschen Varianten der beiden genannten Gene entdeckt, für die zwar die Vermutung besteht, dass sie von Neandertalern an heutige Menschen vererbt wurden. Andererseits deuten die neuen Erkenntnisse aber auch darauf hin, dass Neandertaler, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Anteil zu der in den heutigen Menschen gefundenen Varianz beigetragen haben. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. Februar 2009)