Wien - In einer umfangreichen Retrospektive zeigt das Leopold Museum bis zum 25. Mai Skulpturen und Zeichnungen Barlachs und stellt sie den Arbeiten seiner "Verwandten im Geiste" Käthe Kollwitz gegenüber. "Sie beide hatten kein Interesse für die bürgerliche Welt", erklärte Kurator und Museumsdirektor Rudolf Leopold bei der Pressekonferenz am Donnerstag: "Es waren die Typen der Armen und Arbeiter, die sie bewundert haben."

Angerichtet sind diese Typen - vom "Einsamen" über den "Rächer" bis zum "Frierenden Alten" - in einer engen Straße. Die "Barlach Avenue", die von den kleinen, dunklen Skulpturen gesäumt ist wie ein Kreuzweg, wurde von keinem geringeren als Gustav Peichl gestaltet. Er fühle sich geehrt, für die Ausstellungsarchitektur eingeladen worden zu sein, erklärte der Karikaturist und Architekt, Barlachs Werk bewundere er schon lange. "Deswegen habe ich auch nur die Objekte im Auge gehabt", für die er "eine Atmosphäre der Sinnlichkeit" schaffen wollte.

Bei seiner Russland-Reise von 1906 begründete Barlach sein expressionistisch gestaltetes Menschenbild, nahm den russischen, arbeitenden Menschen zum Vorbild für den Moment des Festfrierens in einer Haltung der Einsamkeit, einer Geste des Bettelns oder einem Handgriff des täglichen Lebens. Kein anderer habe "mit solch sinnlicher Kraft einen Esser aus dem Volke dargestellt", urteilte Bertold Brecht, der Barlachs Ansehen in der Nachkriegs-DDR mitbegründete, über den "Melonenesser". Vorbei an diesem Volk gelangt man zum berühmtesten Stück der Ausstellung: "Das Wiedersehen" von Thomas und Christus aus dem Jahr 1926, mit dem gebeugten Ungläubigen und dem aufrecht Gütigen stammt wie der Großteil der Leihgaben aus dem Barlach Haus in Hamburg.

Mit Käthe Kollwitz verband Ernst Barlach Freundschaft und tiefe Bewunderung in der Arbeit. Er inspirierte sie zu ihren Skulpturen und schätzte sie als Inbegriff einer humanitären Künstlerin. Beider Ausstellungen wurden von den Nazis verboten, seine Werke gar beschlagnahmt. Beide erlebten sie nicht mehr das Ende der Nazi-Herrschaft. Beide wandten sich nach anfänglicher Befürwortung des ersten Weltkrieges dem Pazifismus und dem Leiden der Menschen zu.

Bei Kollwitz war nicht zuletzt der Tod ihres Sohnes im Krieg Grund zur völligen Ablehnung von Gewalt. Ihre "Pieta" trägt ihre eigenen Gesichtszüge, den Toten Sohn sinnierend im Arm. Ihr Plakat zur Deutschen Heimarbeit-Ausstellung musste auf Wunsch der Kaiserin Auguste Viktoria von den Säulen entfernt werden, weil sie nicht in das ausgemergelte Gesicht der dargestellten Frau sehen wollte. Ihr letzter Lithographien-Zyklus trägt den Titel "Der Tod" und exerziert den packenden Griff des gespenstischen Todes an Frauen und Kindern durch, mit Entsetzen im Blick. "Zertretene" heißt ein Familienbild und sie sehen sich ebenso fassung- und begriffslos dem Leid gegenüber wie "Die Witwe" und "Die Überlebenden". (APA)