Google Mitbegründer Sergey Brin

Einmal mehr hat Google mit einem Produkt Anlass für heftiges Google-Bashing geliefert, was mit der wachsenden Vormachtstellung des Onlinekonzerns zu einem beliebten Reflex geworden ist. Google Latitude ermöglicht es, mit Hilfe von GPS-Handys auf einer Karte zu sehen, wo sich (angemeldete) Freunde gerade aufhalten.

Rascheln

Jetzt "weiß" also Google auch, wo wir sind, ging besorgtes Rascheln durch den Blätter wald. Schlimmer noch: Auch unser Arbeitgeber weiß, wo wir sind. Und die Behörden sowieso. Einwände, mit denen man sich auseinandersetzen muss.

Vorausgesetzt

Google "weiß" in der Tat sehr viel über uns, vorausgesetzt, wir identifizieren uns als Benutzer. Jetzt kommt der Standort dazu - vorausgesetzt, wir haben ein aktives GPS-Handy; vorausgesetzt, wir sind "sichtbar"; vorausgesetzt, wir geben keine Pseudoadresse als "Tarnkappe" ein.

Viele Voraussetzungen, die man freiwillig erbringen muss - aber selbst wenn: Was macht Google mit diesem Wissen, Agenten in schwarzen SUVs zum Kidnapping losschicken? Googles Geschäft besteht in der Werbung, standortbezogene Werbung gilt als vielversprechende neue Schiene. Obwohl Werbung am Handy bisher nur wenig angenommen wird.

Betriebsrat schläft

Ähnlich stellt sich die Frage, was Arbeitgeber mit GPS-Daten machen können. Vorausgesetzt, der Betriebsrat schläft, vorausgesetzt, der Mitarbeiter stimmt zu und weiß nicht, dass man GPS abschalten kann: Was ist das Missbrauchspotenzial? In Büros, Geschäften und Werken erfolgt Kontrolle über Anwesenheit; bei Außendiensten gibt es klare Indikatoren, um zu wissen, ob Mitarbeiter fleißig sind, ohne dass man ihren Standort auf Displays in geheimdienstartigen Firmenzentralen verfolgt.

"Wolke"

Die Aufregung über Google Latitude hat einen ernsten Hintergrund, und gleichzeitig ist sie naiv. Der Hintergrund ist die "Wolke", die Infrastruktur des Internets, über die wir einen wachsenden Anteil unserer Daten befördern und speichern. Dabei ist Standort nur der jüngste Baustein, der ohnedies bekannt ist, seit Handys unsere ständigen Begleiter sind. Um darauf zuzugreifen, braucht die Exekutive seit Anfang 2008 nicht einmal mehr einen richterlichen Beschluss, und mit privaten Ortungsdiensten kommt man auch anders an diese Daten heran.

Über Mail, Telefonverkehr, Online-Shops, Facebook und andere Netzwerke hinterlassen wir seit Jahren einen breiten digitalen Trampelpfad. Das Dilemma scheint unlösbar: Denn wir tun dies, weil es praktischen Nutzen und Unterhaltung bringt.

Und der Staat?

Die größte Missbrauchsgefahr geht dabei paradoxerweise von dem aus, nach dem wir rufen, um uns vor Google zu schützen: vom Staat selbst. Eben erst wurde die Rechtmäßigkeit der vorgeschriebenen "Vorratsdatenspeicherung" in der EU bestätigt - fast ein Freibrief zur staatlichen Bespitzelung. Wenn es dem Staat in den Kram passt, sind Vorkehrungen zum Schutz der Privatsphäre schnell dahin, siehe 9/11.

Dagegen hilft nur völlige Verweigerung oder eine widerstandsfähige Zivilgesellschaft. Internet ist nicht nur deren Bedrohung, sondern als Medium und Organisationsplattform ihr bestes Werkzeug. Dieser Knoten ist nur schwer zu entwirren. (helmut.spudich@derStandard.a, DER STANDARD Printausgabe, 12.2. 2009)