Behrouz Khosrozadeh: "Ich denke, das Duo Barack Obama und Mohammad Khatami ist sehr sympathisch."

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Ahmadinejad oder ....

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Khatami, das ist im Juni die Frage.

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Die Kritik am ultrakonservativen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad nimmt selbst unter seinen eigenen Parteifreunden und Anhängern zu. Trotzdem stehen seine Chancen auf eine Wiederwahl im Juni gut. Denn die Mitglieder des einflussreichen Wächterrats möchten lieber einen Konservativen als Präsidenten sehen, als Mohamad Khatami, den Ex-Präsidenten, der in seiner ersten Amtszeit an ihren Sesseln sägte. Mit großem Interesse schaut der Westen den Präsidentschaftswahlen im Iran entgegen. Sollte Ahmadinejad an der Macht bleiben, dürfte die Situation im Nahen Osten noch prekärer werden.

Der deutsch-iranische Politologe Behrouz Khosrozadeh erklärt im derStandard.at-Interview mit Manuela Honsig-Erlenburg die eigenwillige Logik der Islamischen Republik Iran. Während Ahmadinejads Regierungszeit hätte sich das Land zum Negativen verändert, Revolutionswächter hätten viel zu viel Einfluss: "Unter Ahmadinejad sind die Straßen voll von ihnen und sie schikanieren die Bürger, insbesondere "schlecht verschleierte" Frauen." Gewählt wird im Iran am 12. Juni.

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derStandard.at: Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad kandidiert für eine zweite Amtszeit. Der Ultrakonservative steht allerdings wegen seiner unerfüllten Wirtschaftsreformen stark in der Kritik, sogar bei seinen eigenen Parteifreunden und Anhängern. Welche Chancen hat er?

Khosrozadeh: In jedem halbwegs demokratischen Land hätte Ahmadinejad nicht einmal die erste Amtszeit überlebt. Die Islamische Republik stellt ein Unikum innerhalb der Staatenwelt dar. Ja, Ahmadinedjad hat seine Chancen auf Wiederwahl. Der konservative Wächterrat, der die Wahlen "überwacht", möchte gerne einen Konservativen als Präsidenten sehen. Der Wahlorganisator, der kürzlich berufene Innenminister Sadeq Mahsuli war maßgeblich an der Organisation von Ahmadinedjads Wahlkampf im Jahr 2005 beteiligt.

Hinzu kommen die Revolutionswächter (Sepah-e Pasdaran) und die paramilitärischen Basijis samt ihrer Familien. Ahmadinedjad hat einen nicht unerheblichen, organisierten Wählerstamm, der an der Wahlurne geht. Er unterstützt auch direkt aus der Staatskasse die Armen, die sich ihm persönlich oder per Brief zuwenden. Erschwerend kommt noch hinzu, dass der Religionsführer implizit Ahmadinejad unterstützt, ein Signal für alle oben erwähnten Instanzen. Es kommt nicht von ungefähr, dass Khatami "freie Wahlen" gefordert hat. Daher wird es schwer für die Reformer, auch mit einem Khatami an der Spitze.

derStandard.at: Ahmadinejad erhielt bei den letzten Wahlen insbesondere die Unterstützung der Armen und tiefgläubigen Bürger, denen er eine Rückkehr zu den Werten der Revolution und eine gerechtere Verteilung der Öl-Einkünfte zusicherte. Wie sehen seine WählerInnen die Amtszeit Ahmadinejads?

Khosrozadeh: Zweifellos geht es der Bevölkerung, darunter viele Arme, trotz bisher nie dagewesener Öleinnahmen deutlich schlechter als in der Ära Khatami. Alle wichtigen makroökonomischen Indikatoren, vor allem die Inflations- und Arbeitslosenquote (offiziell 25 und 10,2 %) deuten darauf hin. Unter Ahmadinedjad ist die Korruption immens gestiegen, obwohl deren Bekämpfung eines der wichtigsten Ziele seiner Regierung war. Es wird erwartet, dass eine erhebliche Anzahl an Armen und Mittelschichtzugehörigen (Beamten und Angestellten), die 2005 Ahmadinejad wählten, ihre Stimme diesmal überdenken werden. Sie müssen dies jedoch an der Wahlurne zeigen, sonst nutzen Resignation und Politikverdrossenheit den Reformern nicht. Die Stimmen der organisierten Wähler sind ihm jedoch sicher. Es gibt leider keine zuverlässige Meinungs- und Umfrageforschung. Das gehört nicht zur den Stärken des Iran.

derStandard.at: Ahmadinejad wurde bei den letzten Wahlen vom geistlichen Oberhaupt des Iran, Avatollah Ali Khamenei unterstützt. Jetzt kandidiert aber eventuell ein weiterer Vertrauter des geistlichen Oberhaupts, der frühere iranische Innenminister Mostafa Pour-Mohammadi. Ein Nachteil für Ahmadinejad?

Khosrozadeh: Soweit ich es weiß, hat bisher keiner aus dem konservativen Lager außer Ahmadinedschad seine Kandidatur bekanntgegeben. Bei den Konservativen wären Mostafa Pour-Mohammadi und der Teheraner Bürgermeister Mohammad-Bagher Ghalibaf sowie der Vizeparlamentspräsident Mohammad Reza Bahonar als potenzielle Kandidaten möglich. In den Reihen der Reformer haben sich bisher nur Ex-Parlamentspräsident Mehdi Karubi und Mohammad Khatami offiziell nominiert. Pour-Mohammadi hat eine sehr kritische Vergangenheit. In den 80er und 90er Jahren war er als Vertreter des Informationsministeriums an den Schnellgerichtsverfahren beteiligt, die zu Massenhinrichtungen geführt haben.

Später war er als Vizeinformationsminister in viele nachgewiesene Gräueltaten involviert. Er als Präsident des Iran wäre sogar für islamisch-republikanische Verhältnisse schwer tragbar, obschon er wegen seiner Kritik an Ahmadinesjad und seiner Entlassung aus dem Kabinett ein paar Pluspunkte bei den kritischen Konservativen sammeln konnte. Er wäre nur dann für Ahmadinejad gefährlich, wenn er von Ayatollah Khamenei unterstützt würde. Danach sieht es jedoch nicht aus.

derStandard.at: Der frühere Präsident Khatami hat seine Kandidatur angekündigt. Er habe dem allgemeinen Druck nachgegeben. Sogar auf Facebook wurden Unterschriften für ihn gesammelt. Wie schätzen Sie seine Chancen ein?

Khosrozadeh: Er ist der einzige aus den Reihen der Reformer, der angesichts der oben beschriebenen Fakten eine realistische Chance gegen Ahmadinejad hat. Ihn kann der Wächterrat schwerlich als Kandidaten aussieben. Ich glaube nicht, dass ein Khatami nach langem Zögern nun doch antritt, wenn er seine Chancen gering schätzen würde.

derStandard.at: Khatami war ja bereits einmal Präsident. Er hatte versucht, gegen den Widerstand radikaler Mullahs seine Vision einer islamischen Demokratie zu verwirklichen, was ihm aber nicht gelungen ist. Existiert diese Vision bei Khatami noch?

Khosrozadeh: Ja sicher. Es steht fest, dass er das Präsidentenamt nicht mehr so führen kann wie vor elf oder acht Jahren. Dann bräuchte er nicht mehr anzutreten. Darin sind sich fast alle ihn unterstützenden Reformkräfte einig. Im Übrigen, ganz unerfolgreich war Khatami auch nicht. Innenpolitisch blühte die iranische Zivilgesellschaft trotz einiger Rückschläge während seiner Regierungszeit auf. Er schickte die Revolutionswächter (persisch: Sepah) und die Basijis in ihre Kasernen.

Unter Ahmadinejad sind die Straßen voll von ihnen und sie schikanieren die Bürger, insbesondere "schlecht verschleierte" Frauen. Viele vormals politisch aktive Exiliraner haben es erst seit Khatami gewagt, ins Land zurückzukehren. Außenpolitisch hat der Iran unter Khatami sein Ansehen maßgeblich verbessert. US-Präsident Bill Clinton war während der Rede von Präsident Khatami bei der UN-Hauptversammlung 2000 samt seiner Außenministerin Madeleine Albright präsent. US-Präsidenten erscheinen selten bei den UN-Hauptversammlungen, es sei denn zum Beispiel, der russische Präsident ist anwesend. Clinton hätte Khatamis Rede auch in seinem Oval Office via Monitor hören können. Es war Khatami, der zugesehen hat, wie er aufgrund des Drucks der Hardliner im Iran Clinton in den Korridoren der UNO aus dem Weg gehen kann. Heute geben Staatsoberhäupter der Welt unmissverständlich zu verstehen, dass sie Ahmadinejad nicht begegnen möchten.

derStandard.at: Was sagen der iranische Klerus und die Revolutionsgarden zu Khatamis neuerlicher Kandidatur?

Khosrozadeh: Der konservative Klerus und insbesondere die Sepah und die Basijis, die seit Ahmadinedschads Regierung an Privilegien gewonnen haben, attackieren Khatami in ihren Organen direkt. Ihrer Meinung nach war seine Ära ein Desaster für das System des Velayat-e Faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten). So eine Ära dürfe nie wiederkehren. Unter den Reformayatollahs wagt es nur der Großayatollah Hussein Ali Montazeri scharfe direkte Kritik auszuüben. Der Rest ist entweder zurückgezogen oder begnügt sich mit leisen Empfehlungen und Mahnungen.

Unter der Geistlichkeit spielt in der Praxis die Gesellschaft der Lehrer der Madrassa in der schiitischen Hochburg Qom und die Gesellschaft der Kämpfenden Geistlichkeit in Teheran, die allesamt Handlanger der Religionsführer sind, eine große Rolle, was die Mobilisierung der Wählerschaft anbelangt. Um die Verbindung zwischen Ahamadinejad und dieser deutlich zu machen, weise ich darauf hin, dass zum Beispiel das Budget des religiösen "Wissenschafts- und Forschungsinstituts" des Hardliners Ayatollah Mesbah Yazdi seit Ahmadinejads Amtsantritt verzwanzigfacht worden ist!

Das konservative klerikale Establishment und dessen zivile und militärische Klientel (Sepah, Basij und ziviler Anhang) sehen das Regime als ein gottgewolltes Regime. Das Regime führt ihrer Ansicht nach in der Gestalt von Religionsführer Ayatollah Khamenei Gottes Willen aus. So gesehen, sei alles durch die Scharia legitimiert. Betrug, Mord, Heuchelei, willkürliche Verhaftung und Hinrichtung seien erlaubt, um die Aufrechterhaltung des Regimes (persisch: "Nezam") willen, das die Gottesgesetze implementiert. 

derStandard.at: Reformer planen angeblich sogar, wie US-Präsident Barack Obama, mit dem Slogan "Change (Wandel)" in den Wahlkampf zu ziehen." Ein Treppenwitz der Geschichte?

Khosrozadeh: Nun, den Spielraum eines US-Präsidenten hat ein iranischer Präsident nicht. Mit "Change" meinen die Reformer eher ein "Change" in Bezug auf die achtjährige Amtszeit Khatamis. Er hat einmal gesagt, er spiele eher die Rolle eines "Organisators" (des Religionsführers). Sollte Khatami deutlich gegen Ahmadinejad gewinnen, kann er sodann nicht mehr diese Rolle einnehmen. Es ist nicht mehr das Jahr 1997 und Khatami wird sich sicher bewusst sein, dass er nicht noch einmal die Iraner enttäuschen darf. Sein Führungsstil wird sich auf jeden Fall unterscheiden von dem seiner vorherigen Amtsperiode. Er hat auch angekündigt, dass er in seiner Amtszeit mehr auf die ökonomische Entwicklung setzen würde als auf die politische. Eine derart politisch unterdrückende Gesellschaft wie derzeit unter Ahmadinejad kann er sich jedoch nicht leisten. Man darf darauf gespannt sein, wie er den Spagat zwischen politischer und wirtschaftlicher Entwicklung bewältigen kann, sollte er die Wahl gewinnen.

derStandard.at: Khatami war - wie Sie schon ausgeführt haben - ein angesehener Ansprechpartner des Westens. Gilt das noch und wie werden sich die westlichen Regierungen verhalten, um ihm zu nutzen bzw. zumindest nicht zu schaden?

Khosrozadeh: Es wird mit Sicherheit unter Khatami einen anderen Umgang mit dem Westen und mit der internationalen Gemeinschaft geben als mit Ahmadinejad. Khatami würde den Nuklearstreit sachlich angehen und etwas wie die unselige Holocaustdebatte gar nicht erst führen. Der Westen und allen voran die USA müssen Kompromissbereitschaft zeigen. Denn Khatami ist darauf angewiesen, Erfolgserlebnisse vorzuweisen. Ich denke, das Duo Barack Obama und Mohammad Khatami ist sehr sympathisch.

derStandard.at: Wie wichtig ist es für den Atomstreit, wer iranischer Präsident wird. Ist es da nicht der Revolutionsführer, der in der Nuklearfrage die Bedingungen vorgibt?

Khosrozadeh: Wissen Sie, aus der iranischen Verfassung geht deutlich hervor, dass der Religionsführer auch die Richtlinien der Außenpolitik bestimmt. Er hat das letzte Wort. Doch Irans Präsidenten sind hierbei auch nicht einflusslos. So wie Khamenei hinter Ahmadinejads sturem Nuklearkurs steht, so hat er auch die Aussetzung des Urananreicherungsprogramms der Khatami-Regierung vom November 2004 bis zum Ende der Amtzeit Khatamis im August 2005 nicht verhindert. Es macht einiges aus, wer der iranische Präsident ist. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 11. Februar 2009)