"Unsere Absicht war es nicht, alle Fragen zu lösen", sagte Nicolas Sarkozy, als er am fünften Kriegstag neben Dmitri Medwedew in Schloss Maiendorf stand, der Residenz des russischen Präsidenten am Stadtrand von Moskau.

Am Abend jenes Augusttages 2008 endete der Krieg in Georgien. Und Sarkozy hatte Recht und Unrecht zugleich: Sein sechs Punkte kurzer Friedensplan löste nicht alle strittigen Punkte über Georgiens Angriff und Russlands Invasion; dennoch tun Frankreichs Präsident und die Mehrzahl der Staats- und Regierungschefs im Westen heute - ein halbes Jahr später - so, als ob genau das der Fall war. Versöhnung mit Russland ist Trumpf.

Nicht alle sehen das jedoch so gelassen. "Ist es also okay, in Europa Grenzen zu ändern?" , fragte Estlands Präsident Toomas Hendrik Ilves am vergangenen Wochenende in München in die Runde, als Sarkozy und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bei der Sicherheitskonferenz wieder große Pläne mit den Russen machten - "wie bauen wir sie ein?", "Nato-Russland-Rat intensivieren" , "Präsident Medwedew beim Wort nehmen" , "das ist doch äußerst interessant!"

Nicht für die Balten. Wer glaubt, jeden Tag den kalten Hauch des russischen Imperiums im Nacken zu spüren, hat wenig Neigung zu entspannungspolitischer Gymnastik. "Es wird ein paar Unterbrechungen geben, und dann machen wir weiter?", bohrte Ilves, der estnische Präsident, "und welche der Worte Medwedews soll man nehmen?".

"Aktion statt Inhalt" ist der Vorwurf, den Sarkozy immer wieder hört; "Beschwichtigung statt Prinzipien" wird der deutschen Regierung vorgehalten, wenn es um das Verhältnis zu Russland geht.

Die Hypothek des Georgienkriegs wiegt dabei schwerer, als man ein halbes Jahr nach dem schnellen Sieg der russischen Armee noch annehmen möchte: Moskau hat den Friedensplan des damaligen EU-Ratspräsidenten Sarkozy praktisch entwertet; die Nachverhandlungen über den KSE-Abrüstungsvertrag, die der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit einem Expertentreffen in Berlin ankurbeln möchte, sind nur um den Preis der Anerkennung der russischen Landnahme in Georgien zu haben; Invasion und Anerkennung der georgischen Separatistenprovinzen haben schließlich aus Sicht der Osteuropäer eine völlig neue Situation geschaffen. Vor allem die Balten verlangen von der Nato eine Ausarbeitung von Verteidigungsplänen wie zu Zeiten des Kalten Kriegs, denn sie wollen für den Fall eines russischen Angriffs gerüstet sein.

Wladimir Putin, von dem man annehmen darf, dass er nach seiner Zeit als Premierminister wieder als Präsident in den Kreml zurückkehrt, tut bisher wenig, um die Signale der Versöhnung aus dem Westen zu rechtfertigen. Den EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, der noch im Jänner während des Gasstreits gedroht hatte, er werde Russlands Wortbruch "nicht vergessen" , doch vergangene Woche mit neun Kommissaren zum Arbeitsgespräch nach Moskau anreiste, hatte Putin nach allen Regeln der Kunst abgebürstet. In Georgien schafft Russlands Premier neue Tatsachen - unter Bruch des Sarkozy-Plans, den sein Präsident unterzeichnete.

Punkt fünf der Vereinbarung vom August 2008 legte fest, dass sich die russischen Truppen auf die Positionen vor Kriegsbeginn zurückziehen müssen. Das Gegenteil geschieht nun: Moskau hat nicht nur Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannt (und stellt wohl derzeit Weißrussland eine Milliardenanleihe in Aussicht, damit es diesem Schritt folgt); Russland macht nun in Abchasien die Basis Gudauta zum Luftwaffenstützpunkt und kündigte den Bau eines Marinehafens in Otschamtschira am Schwarzen Meer an. So viel strategische Verbesserung mag einen kleinen Krieg wert gewesen sein. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 11.2.2009)