Auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehe es vor allem darum, Positionen abzugleichen und Verantwortliche an einen Tisch zu bringen. Beschlüsse oder große Überraschungen werde es keine geben, meint Michael Brzoska, Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg im derStandard.at-Interview.

Brzoska wirft seine Hauptaugenmerk vor allem auf hochkarätige Gäste wie US-Vizepräsident Joe Biden, den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai oder den iranischen Parlamentspräsidenten Ali Larijani. In Afghanistan und im Iran liegen die Brennpunkte der "neuen Weltarchitektur".

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derStandard.at: Als "Meilenstein für eine neue politische Weltordnung" wird die Münchner Sicherheitskonferenz medial verkauft. Tatsächlich sind aber keinerlei Beschlüsse vorgesehen. Was kann man sich von einem Treffen wie der Münchner Sicherheitskonferenz tatsächlich erwarten?

Brzoska: München ist ein Diskussionsklub, hier werden Ideen ventiliert, hier wird Frust abgelassen und natürlich auch zum Fenster hinausgeredet. Aber die Konferenz ist hochkarätig besetzt und es gibt zumindest Ansätze, eine neue Architektur der Welt zu initiieren. Der eigentliche Sinn solcher Konferenzen liegt aber vor allem darin, sich persönlich zu treffen und ein Gesprächsklima zu schaffen, auf dem später aufgebaut werden kann. Hier kommen ja nicht nur Staatschefs sondern auch Minister oder Militärs zusammen.

Große Überraschungen wird es zwar nicht geben. Aber durchaus kleine Schritte. Man könnte zum Beispiel Medwedews Vorschlag einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur genauer besprechen. Bisher ist das ja noch eine sehr schemenhafte Idee. Weitere interessante Fragen werden die Mitgliedschaft der Ukraine und Georgien in der Nato sein oder die Frage der Raketenabwehr der USA in Europa.

derStandard.at:  Barack Obamas Vize Joe Biden wird die Pläne für die Außen- und Sicherheitspolitik skizzieren - zum ersten Mal in Europa und wenige Wochen vor dem NATO-Gipfel. Was erwarten Sie?

Brzoska: Spannend wird, ob man bereit ist, mit dem Iran zu sprechen und wie das aussehen wird. Der mögliche iranische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Atomunterhändler Larijani ist ja als Vertreter des Iran in München. Es wird interessant zu sehen, wie Biden, Merkel und Sarkozy mit ihm umgehen. Man würde im Westen natürlich lieber haben, dass Larijani zum iranischen Präsidenten gewählt wird. Wenn man ihn aber zu sehr umschwärmt, minimiert man möglicherweise seine Chancen, dann gilt er eventuell zu Hause als "Verräter". Aber natürlich muss man an Herrn Laridjani Forderungen stellen und Kompromisse und Alternativen zum iranischen Atomprogramm besprechen.

Interessant wird auch, ob die USA den "Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa" ratifizieren wollen, oder überhaupt auf ein neues Vertragswerk abzielen. Die Regierung Obama ist aber sicher nicht in allen Punkten zu Positionen gekommen.

derStandard.at: Die Entwicklung der Beziehungen zwischen den USA und Russland gilt auch als Brennpunkt. US-Außenministerin Clinton hat im Vorfeld der Konferenz Russland eine Verbesserung dieser Beziehungen angeboten. Nun hat der kirgisische Präsident Kumanbek Bakijew aber erklärt, Kirgisien werde die Verträge mit den USA für die amerikanische Militärbasis im kirgisischen Manas aufkündigen, eine Basis, die für die amerikanischen Truppen in Afghanistan von großer Bedeutung ist. Auf Druck Russlands?

Brzoska: Die Russen haben die zentralasiatischen Staaten bisher kaum vor die Alternative gestellt, sich entweder für den "Westen" oder für Russland zu entscheiden. Das hat sich jetzt geändert. Die russische Regierung ist im Moment sehr aktiv dabei, die zentralasiatische Staaten in ihr Lager zu ziehen. Zum Beispiel mit Angeboten wie der schnellen Eingreiftruppen und Sicherheitsgarantien, aber auch mit Wirtschaftshilfe.

derStandard.at: Ein russisches Alternativangebot an die USA war, mit der Militärbasis auf russisches Staatsgebiet auszuweichen. Will man die USA kontrollieren?

Brzoska: Ein Grund ist in der Tat, dass man in Russland dann genauer weiß, was passiert und einzelne zentralasiatische Staaten nicht unter US-Einfluss kommen. Andererseits hat man in Russland durchaus ein Interesse daran, dass in Afghanistan eine nicht-religiöse Regierung, also keine Taliban-Regierung, das Sagen hat. Deswegen ist eine Unterstützung der USA sinnvoll.

derStandard.at: Wie wird die USA hinsichtlich Afghanistan vorgehen? Wird der afghanische Präsident Karzai, der ja auch bei der Konferenz ist, von Obama demnächst "abmontiert", wie gemunkelt wird?

Brzoska: Das ist eine Möglichkeit. Eventuell wollen die USA die politischen Zügel stärker in die Hand nehmen und einen abhängigeren Präsidenten installieren. Weiters wird ja überlegt, den Krieg zu intensivieren und auch auf pakistanischem Gebiet militärisch vorzugehen, um den Taliban ihr Rückzugsgebiet zu nehmen. Beide Vorgehensweisen sind in meinen Augen ein Fehler. Wenn Afghanistan offensichtlich eine US-Kolonie geworden ist, kann man nicht mehr so leicht seine Truppen abziehen. Und wenn der Konflikt auf Pakistan ausgeweitet wird, kann es schnell passieren, dass sich das ausweitet zu einem afghanisch-pakistanischen Krieg.

Diskussionswürdig wäre eine Strategie, die auf Zentralisierung setzt. Kurzfristig könnte man in den unterschiedlichen Regionen versuchen, stabile Verhältnisse zu schaffen. (mhe, derStandard.at, 7.2.2009)