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Permanente innere Aufgeregtheit und daraus folgende Gereiztheit und Aggressivität verstellen den Blick auf Zusammenhänge

Foto: APA/EPA/Everett Kennedy Brown

Alles verändert sich gleichzeitig und gleichzeitig immer schneller. Es ist schwer geworden, mit der sich täglich wandelnden Welt noch Schritt zu halten. Sicher ist nur: Morgen geht gestern nicht weiter. Doch niemand weiß: Wie wird's weitergehen?

Die permanente Unsicherheit ist Normalzustand. Handlungs- und noch viel mehr Zukunftsplanung, unternehmerische wie private, ein entsprechend stetes Wagnis. Die sich daraus ergebende Verunsicherung und Anspannung ist stark. Innere Ruhe, Bedachtsamkeit, ist ein rares Gut geworden. Fachleute registrieren das mit Besorgnis. Sie sehen darin einen der großen Mürbemacher unserer Zeit. Und sie verweisen darauf, dass gerade sie, die innere Ruhe, beträchtliche, auch kreative, Kräfte freisetzt, den Blick klärt und schärft. Und nichts mehr als das wird zur persönlichen wie betrieblichen Krisenbewältigung gebraucht. Unternehmerisch auch mit Blick auf die innerbetriebliche "psychologische" Wirkung auf die Belegschaft.

Nicht verbissen sein

Die allenthalben zu spürende Aufgeregtheit, der umtriebige Aktionismus trägt kaum zur konstruktiven, weitsichtigen Krisenbewältigung bei. Die durchaus vorhandenen Kräfte entfalten ihre volle Wirkungskraft erst, wenn innere Ruhe und die sich daraus ergebende Offenheit für das im Hier und Jetzt wirklich Notwendige sie tragen. Erst dann wird das möglich, was Lebenserfahrung wie psychologische Forschung als wichtigsten Ansatz zur Problemlösung wie Krisenbewältigung erkannt haben: einen Schritt zurückzutreten, sich von den Problemen zu lösen, nicht verbissen festzuhalten.

Diese segensreiche Wirkung des Mit-innerer-Ruhe-in-der-Welt-Stehens gilt es zur persönlichen Stabilisierung in destabilisierender Zeit wiederzuentdecken und für sich zurückzuerobern. Denn aus permanenter innerer Aufgeregtheit heraus geht nicht nur der Blick für die Zusammenhänge verloren und damit auf das Erkennen von Handlungsalternativen, der Mensch achtet auch nicht mehr auf sich selbst, sein Verhalten.

So rutscht der Mensch in eine kontraproduktive Reizbarkeit, die Aggressivität selbst bei nichtigsten Anlässen aufflammen lässt, den Blick trübt und die Gefahr mit sich bringt, laufend in die Falle voreiliger Beurteilungen und Bewertungen zu laufen. Alles wird nur noch negativ getönt wahrgenommen. Mit der Folge: Wesentliche Aspekte einer Situation werden übersehen und nicht berücksichtigt, Handlungsmöglichkeiten nicht erkannt. So wächst das Risiko, sich an den falschen Problemen abzuarbeiten und zu erschöpfen. Die Hirnforscher erklären diesen unguten Gang der Dinge so: Wird im Kopf die Erregung zu groß, brennen alle Sicherungen durch.

Mehr innere Ruhe finden

Dann übernehmen uralte Notfallprogramme das Kommando. Sofern es wirklich ums nackte Überleben geht, ist das auch sinnvoll. Dann hilft das, was von diesen Notfallprogrammen in Gang gesetzt wird, zu überleben. Sei es als Angriff oder als Flucht.

Aber in einer turbulenten, fortlaufend von kleineren und größeren Krisen heimgesuchten Welt helfen diese archaischen Notfallprogramme wenig weiter. Ganz im Gegenteil, sie gießen, bildlich gesprochen, noch Öl in die Flammen. In verunsichernden Zeiten auf Kurs zu bleiben verlangt ruhiges, besonnenes Nachdenken, Umsicht, abwägende Voraussicht, situatives Einfühlungsvermögen.

Wie es gehen kann

Doch wie diesem Zustand näherkommen? Auch hier führen viele Wege nach Rom, gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Auf einen entscheidenden weist die Züricher Körpertrainerin Benita Cantieni hin, wenn sie in ihrem neuen Buch Catpower darauf aufmerksam macht: "Good News: Sie besitzen ein Meisterwerk, Ihren Körper. Bad News: Sie wissen nicht, wie dieses Meisterwerk wirklich behandelt werden will."

Eine leider noch immer verkannte Voraussetzung für mehr innere Ruhe und die sich daraus ergebende stabilere Leistungsfähigkeit ist für Cantieni ein gut behandelter Körper. Eine komplementäre Voraussetzung ist ein wenig (mehr) Disziplin im Kopf. Darauf weist der Fachmann für mentale Fitness, Hans Eberspächer, in seinem Buch Gut sein, wenn's darauf ankommt - Erfolg durch mentales Training hin.

Außerordentlich förderlich für innere Ruhe und Bedachtsamkeit wirken sich vier "Verhaltensweisen" aus, die - ebenso wie die pfleglichere Behandlung des eigenen Körpers - mit ein wenig Selbstdisziplin unschwer durchzuführen sind: die Steuerung der Selbstgespräche, der Vorstellungen, der Aufmerksamkeit und der Glaube an die eigene Bewältigungsfähigkeit.
Selbstgespräche begleiten uns durch den Tag. Mit wachsender Beanspruchung wird dieser innere Dialog intensiver. Förderlich für innere Ruhe und Bedachtsamkeit wirkt, sich in Selbstgesprächen mit zuversichtlichen Gedanken aufzubauen und sich auf die anstehenden Aufgaben zu fokussieren. Selbstzweifel und Angstfantasien hingehen begünstigen die innere Unruhe und Selbstverunsicherung.

Die Rolle von Vorstellungen

Vorstellungen beeinflussen, wie wir was erleben. Sie steuern unser Handlungsvermögen und unsere Handlungen. Zudem beeinflussen sie, wie wir auf andere wirken. Ängstliche Vorstellungen machen befangen, verunsichern, blockieren die Handlungsfähigkeit und beeinträchtigen unsere Anmutungsqualität. Zielorientierte Vorstellungen hingegen machen Handlungsmöglichkeiten, -alternativen und -wege sichtbar, fördern unsere Ausstrahlung. Sie setzen Kräfte frei und verhindern eine verzerrte Wahrnehmung des Ausmaßes möglicher Schwierigkeiten.
Unsere Aufmerksamkeit wird in dieser Welt hoch beschleunigten Wandels stark von dem gefesselt, was kommen könnte. Das beeinträchtigt die Konzentration auf den Tag, auf das Hier und Jetzt. Doch das im Wesentlichen auf "Morgen", auf das, was kommen könnte, zugespitzte Denken macht unruhig, destabilisiert. Innere Ruhe und mit ihr kraftvolle Handlungsfähigkeit verlangen das Verankertsein im Hier und Jetzt.

Und - das einzusetzen, was wir können und was uns zur Verfügung steht. Und nicht laufend über das nachzugrübeln, woran es uns mangelt. Wer nur mit seinen tatsächlichen oder vermeintlichen Schwächen und Unvollkommenheiten beschäftigt ist, scheitert an sich selbst. Stabile, zuversichtliche, aus innerer Ruhe kommende Leistungsfähigkeit braucht die Überzeugung von der Wirksamkeit des eigenen Handelns trotz gegebener Schwächen, die selbstbewusste und sichere Besinnung auf eigene Stärken. (Hartmut Volk, DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.2.2009)