Abschied von Dayton - Aufbruch in eine neue Ära der Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Sarajewo: ein diplomatischer Vorstoß zugunsten eines grundlegenden Strategiewechsels der europäischen Bosnienpolitik.

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Die kürzlich erfolgte Ernennung von Miroslav Lajèák zum neuen Außenminister der Slowakei und der damit verbundenen Rückzug als internationaler Zivilverwalter für Bosnien und Herzegowina markiert einen günstigen Zeitpunkt für eine längst fällige Neuordnung der Arbeitsbeziehungen zwischen Brüssel und Sarajewo. Dem kommt auch die erst jüngst zwischen den drei großen Parteien erzielte Einigung über eine neue Verwaltungsstruktur in Bosnien entgegen.

Wie weit dieser nachgerade vernünftig anmutende Vorschlag ernst zu nehmen ist, wird die Zukunft weisen; Skepsis ist angesagt. Dennoch sollte die Europäische Union die Parteichefs der bosniakischen, serbischen und kroatischen Großparteien umgehend bei ihrem Wort nehmen.

Mehr Partnerschaft

Wir schlagen daher für den letzten Abschnitt des Wiederaufbaus Bosniens einen völlig neuen politischen Ansatz vor, der Partnerschaft und Mitverantwortung als zentrale Begriffe einer gemeinsamen Strategie festlegt. Das erscheint umso dringlicher, da sich die Welt in der größten Wirtschaftskrise seit 1929 befindet und gerade ihre Prioritäten neu verhandelt. Zugleich haben die bedeutsamen Änderungen in Washington auch für Bosnien Signalwirkung für eine mögliche Wende zum Besseren. Dem Vernehmen nach überlegt die Obama-Administration die Ernennung eines Balkan-Sonderbeauftragten. Die politische Wiederkehr der USA muss für Europa ein weiterer Ansporn sein, die Region endlich und umfassend zu stabilisieren.

Bosnien ist nach wie vor in einer schwierigen Lage, und das wird wohl noch einige Zeit so bleiben. Vom unvollendeten Staat Kosovo einmal abgesehen, ist kein anderes Land Südosteuropas so sehr abhängig von der entschlossenen Fortführung der europäischen Integration. Aber die Vereinigung Europas ist keine Einbahnstraße. Europa muss auch innerhalb Bosniens wachsen.

Mit zunehmender Resignation haben wir darauf gewartet, dass die lokalen Obrigkeiten ihre verantwortungslosen internen Streitigkeiten beilegen und von ihren alles dominierenden Partikularinteressen abrücken. Europa wäre nicht da, wo es heute ist, hätte es nicht vermocht, Brücken über historische Bruchstellen zu schlagen. Bosnien und seine Bürger müssen sich rasch bewusst werden, dass das auch in ihrem Land möglich und machbar ist.

Offen gesagt schreit es zum Himmel, wie in diesem geschundenen Land immer noch Politik betrieben wird und wie weit man etwa von der Erfüllung der EU-Stabilitäts- und Assoziierungskriterien entfernt ist, die eine Schließung des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR) und damit den längst überfällige Abbau der Abhängigkeit und internationalen Bevormundung ermöglichen würde. Das alles ist in letzter Zeit immer unerträglicher geworden - selbst für die stärksten Befürworter eines souveränen Bosnien.

Wir fragen uns manchmal, ob man sich eigentlich bewusst ist, welche bizarren Probleme diese Politik der ethnischen Obstruktion für Europa in Zeiten größter ökonomischer Herausforderungen bereitet. Dass sich Europa noch immer - viel zu sehr - um eine Region kümmern muss, in der der Konflikt bereits Jahre zurückliegt, trägt dazu bei, dass andere, potenziell viel bedrohlichere Krisenherde vernachlässigt werden: das Schicksal der Palästinenser in Gaza, die Bürgerkriege in Schwarzafrika, die Konflikte in und um Irak, Afghanistan, Iran; ganz zu schweigen von den globalen Herausforderungen des Klimawandels, der wachsenden Rohstoffkonflikte oder der notorischen Unterernährung in der südlichen Hemisphäre. - Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie dringend der erfolgreiche Abschluss des internationalen bosnischen Experimentes geworden ist.

Weniger Bürokratie

Was wir der Europäischen Union und Bosnien daher vorschlagen, ist, die abschließende Etappe der Staatsbildung mit einer beide Seiten verpflichtenden und detaillierten Übereinkunft - einem Europäisierungspakt - voranzutreiben. Es gilt gemeinsam und verbindlich festzuhalten: Welche wesentlichen Elemente eines lebensfähigen bosnischen Staates fehlen? Was sind die institutionellen Mindestvoraussetzungen für einen EU-Anwärter Bosnien? Jeder weiß, dass die gegenwärtigen Verwaltungsstrukturen unhaltbar und die einhundertsechzig (!) Minister auf den Mehrfachebenen der Staatsführung eine Geldverschwendungsmaschinerie ersten Ranges sind. Nahezu zwei Drittel des erwirtschafteten Geldes fließen in die Verwaltung. Während es in Afghanistan neun Tage dauert, um einen Betrieb anzumelden, benötigt der bosnische Wirtschaftstreibende dazu volle sechzig Tage. Daher bleibt die oft beschworene Verfassungsreform - die Verschlankung der byzantinisch anmutenden Bürokratie des Landes - oberstes Ziel und Voraussetzung für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt.

Die Zeit drängt

Ein realistischer Zeitrahmen, Modalitäten für ein gemeinsames Budget, Erfolgskontrolle und mögliche Sanktionen gehören ebenso zu unserem Vorschlag wie das beiderseitige Bekenntnis zur politischen Verantwortung für den Abschluss dieses wichtigen Projektes. Der politische Wille ist Voraussetzung für die sorgfältige Auswahl einer glaubwürdigen und kompetenten europäischen Persönlichkeit - des EU Special Representative - und mehr noch für dessen Arbeitserfolg bei der Umsetzung dieses bosnischen Übereinkommens.

Die Kontroverse um die erwähnte Dreiparteieneinigung in Bosnien wächst täglich; rasches Handeln ist daher angesagt. Internationale Mitarbeiter in Sarajewo wissen zu berichten, dass die EU dort zurzeit wie abgemeldet wirke.

Wenn es jedoch gelingt, den verfahrenen balkanischen Karren wieder flott zu kriegen, dann könnte eine solcherart verstandene neue Partnerschaft aller am Aufbau des Landes Beteiligten Bosnien endlich auf den Weg zur vollen Selbstbestimmung und politischen Eigenverantwortung führen.

Insgesamt ist die Aussicht ziemlich düster. Die vorgeschlagene Partnerschafts-Agenda von EU (unterstützt von den USA) und Bosnien könnte zum längst überfälligen Neuanfang führen. Daran muss Europa Interesse haben. In Washington weht bereits ein frischer Wind. Change ist auch in Bosnien möglich. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.2.2009)