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Gedränge, viele Begeisterte und einige Neugierige auf dem Wiener Heldenplatz. Diese Bilder, im kollektiven Gedächtnis der ÖsterreicherInnen, sind für die nachkommenden Generationen nur schwierig zu begreifen.

Foto: APA/Votava

Jubelnde und winkende Menschen in den Dörfern und Städten, so viele, dass der Wagen Hitlers nur im Schritttempo vorankommt. Kirchenglocken werden geläutet, Hakenkreuzfahnen gehisst und wild geschwenkt. Auch in Wien gibt es Gedränge, viele Begeisterte und einige Neugierige versammeln sich am Ring und am Heldenplatz, strahlen in die Kameras. Die Fassaden der repräsentativen Gebäude sind mit Hakenkreuzfahnen verhüllt. Und immer wieder "Sieg Heil" Rufe, die die Szene begleiten. Diese Bilder, im kollektiven Gedächtnis der ÖsterreicherInnen, sind für die nachkommenden Generationen nur schwierig zu begreifen. Stattdessen macht sich ein mulmiges Gefühl in den Magengruben breit. Daher sind Szenen wie diese der Ausgangspunkt von Thomas Alexander Manns Diplomarbeit "Emotionale Vergemeinschaftungen". Wie kann man solche kollektive Begeisterung jenseits von politischer Richtung und Ideologie erklären?

Politik im Unterhaltungsmodus

Auch weniger dramatische Alltagssituationen wie Wahlkämpfe zeigen die Tendenz zur Emotionalisierung der Politik. Es wird zunehmend auf "Politainment" und das Ansprechen von mehreren Erlebensdimensionen gesetzt. Der Kampf um die Wahrnehmung der WählerInnen erfolgt in einer "Politik mit Wohlfühl-Faktor" über das Ansprechen von Gefühlen und nicht über rationale Argumentation. Aber wieso ist diese Art der Politikvermittlung erfolgreich?
Die vorliegende Diplomarbeit gibt keine letztgültige Antwort auf diese Frage. Verwiesen wird jedoch auf Spannungszustände, die in der Bevölkerung entstehen können, sobald Veränderungen in einer Gesellschaft stattfinden, die diese nicht bewältigen kann oder sich allgemein Unzufriedenheit ausbreitet. Diese emotionalen Spannungszustände werden in (politischen) Massenveranstaltungen weiter aufgebaut und können dort auch ausgelebt werden. Es kommt zum Prozess emotionaler Vergemeinschaftung: Die anwesenden Menschen handeln aufgrund gefühlter Zusammengehörigkeit. Nach außen kann sich eine dauerhafte Vergemeinschaftung über gemeinsame Symbole, Musik, u.v.m. ausdrücken.

Wie verwandelt oder doch hoch konzentriert?

Über das Verhalten von Menschen, die sich in emotionaler Vergemeinschaftung bei Massenveranstaltungen befinden, gibt es widerstreitende Meinungen. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage nach der Verantwortung des einzelnen Menschen. Fest steht: jede Person kann selbst entscheiden, ob sie an der Veranstaltung teilnehmen möchte oder nicht. Mit dem Beginn einer Ansprache oder eines Aufmarschs wird die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Bühne gelenkt, wodurch gleichzeitig weniger Aufmerksamkeit für Selbstkontrolle zur Verfügung steht. Die Personen auf der Bühne versuchen die Emotionen des Publikums zu steigern. Dieser Prozess des emotionalen Aufschaukelns setzt sich aber unabhängig von der Bühne im Publikum fort, denn die emotionalisierte Masse dient sich selbst als Spiegel: Durch die Personen im Umfeld werden die eigenen Emotionen aufgeschaukelt. Das geschieht bis zu einem Punkt, an dem sich die aufgebauten Emotionen und Spannungen, durch Jubel, Bewegung und gelegentlich auch Gewalt entladen. Laut einem Modell des Soziologen Herbert Blumer wirken Individuen dann wie verwandelt.

Mehr Verantwortung kommt den Einzelnen im Modell des Psychologen Clark McPhail zu. In diesem behalten die Teilnehmenden gerade während der Interaktion mit den Personen in ihrer Umgebung im Lauf der Massenveranstaltung ihre Fähigkeit rational und kritisch zu argumentieren und zu handeln. Sie sind sogar hoch konzentriert, weil das Wechseln zwischen dem Verhalten in der Kleingruppe und in der Menschenmenge Konzentration und Bewusstsein erfordert.

Kritische Masse?

Für Thomas Alexander Mann ergründet sich der Charakter von Massenveranstaltungen im Spannungsfeld von Emotion und Ratio. Seine Grundannahme dabei ist, dass eine solche affektive Zustimmung bei Massenveranstaltungen weder Zwang voraussetzt, noch einer bestimmten politischen Richtung oder Ideologie zuzuordnen ist. Und damit hat der Autor wohl auch recht, denn alleine anhand von Filmmaterial kann gezeigt werden, dass sich die Teilnehmenden während nationalsozialistischer Massenveranstaltungen nicht in einem permanenten, selbstvergessenen und leicht steuerbarem Rauschzustand befinden - obwohl auch dieses Phänomen zeitlich begrenzt und nicht alle Anwesenden umfassend vorkommen kann.

Es gibt aber auch Personen, die in die Kamera winken, desinteressiert am Geschehen scheinen oder sich in kleinen Gruppen unterhalten, obwohl Rede und Aufmarsch noch andauern. Das lässt darauf schließen, dass die Teilnehmenden sich weiterhin auf ihr eigenes Handeln konzentrieren können, ihr Handeln ist ihnen nach wie vor bewusst. Die Frage allerdings, weshalb sich Menschen überhaupt dazu entschieden haben, nationalsozialistische Veranstaltungen zu besuchen, kann mit diesen Theorien nicht geklärt werden.

Die Diplomarbeit: "Emotionale Vergemeinschaftungen. Zur Politischen Soziologie der Emotionen. Ein Erklärungsversuch des sozialen Prozesses 'Massenbegeisterung in zeitlich befristeten politischen Massenveranstaltungen (temporary gatherings)' ist unter textfeld.ac.at im Volltext hier nachzulesen.