Justitia als Geldsammelmaschine: Bis zu 5,4 Prozent des Streitwertes müssen vom Verlierer in einem Verfahren abgeliefert werden. Manche Prozesse werden dadurch undurchführbar.

Foto: Fischer, Collage: Friesenbichler

Gerichtsverfahren sind bekanntlich teuer, aber in wenigen Ländern so kostspielig wie in Österreich, das besonders hohe Gerichtsgebühren verlangt. Was Betroffene und Rechtsexperten dabei am meisten aufstößt, ist die Tatsache, dass die höhere Instanzen zusätzlich steigende Gerichtsgebühren einheben: In der ersten Instanz sind es 1,2 Prozent des Streitwertes, in der zweiten 1,8 Prozent, und der Gang zum Obersten Gerichtshof kostet bereits 2,4 Prozent, selbst wenn die Höchstrichter den Fall gar nicht annehmen.

Kumulativ ergibt das für einen Fall beim OGHungedeckelte Gebühren von 5,4 Prozent des Streitwertes - bei großen Verfahren muss der Verlierer bis zu 50 Millionen Euro an die Justiz abliefern. In Deutschland sind die Gebühren im Gegensatz bei einem Streitwert von 30 Millionen Euro gedeckelt. Das sind in Österreich etwa auch Vergabeverfahren, wo es manchmal um Milliardenbeträge geht.

Österreichs Gebührensystem ist umstritten. Aber der Verfassungsgerichtshof hat bisher alle grundsätzlichen Anfechtungen der Gerichtsgebühren abgewiesen, und auch der Gesetzgeber hat sich bisher geweigert, diese lukrative Geldquelle für die Justiz zu reformieren. Nun hat der französische Konzern Vivendi die Kosten eines österreichischen Rechtsfalls zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg getragen. Sein Rechtsvertreter Nikolaus Pitkowitz von der Wirtschaftskanzlei Graf &Pitkowitz argumentiert, das System "stellt eine unzulässige Zugangsbarriere zum Recht dar". Denn bei hohen Streitwerten würden viele Parteien auf ein Gerichtsverfahren verzichten, um das Risiko exzessiver Gerichtsgebühren zu vermeiden. Dies sei ein Verstoß gegen die Menschenrechtserklärung.

Oft wird der Streitwert bewusst zu niedrig angesetzt, um Prozesskosten zu sparen. So hat die AUAvom Investor Mohamed Bin Issa Al-Jaber nach dessen Absprung zwar 150 Millionen Euro verlangt, aber letztlich nur auf fünf Millionen Euro geklagt.

Kosten in die Höhe treiben

Problematischer ist die Möglichkeit für Streitparteien, den Streitwert heraufsetzen zu lassen und damit die Kosten für den Verlierer in die Höhe zu treiben, sagt Pitkowitz. Dies werde oft als Prozesstaktik angewandt, um etwa einen Kläger zum Aufgeben zu drängen.

"Dieses System ermöglicht Missbrauch", sagt Pitkowitz. "Ein Beklagter, der selbst nur beschränkt zahlungsfähig ist, kann einen potenten Kläger in eine Situation bringen, in der er aus wirtschaftlicher Sicht die Klage nicht fortsetzen kann." Dies sei auch seinen Klienten in einer Reihe von Verfahren passiert, weswegen er auch zuerst den Weg zum VfGH und dann zum EGMR gewählt habe.

Die größte Schwäche des Systems sei die Tatsache, dass einerseits das Gericht den Streitwert von sich aus nur dann verändern kann, wenn sich die Zuständigkeit ändert. Andererseits kann der Beklagte den Streitwert bemängeln und eine Anhebung beantragen. Gibt das Gericht dieser Forderung statt, kann diese Entscheidung nicht mehr angefochten werden.

Auch der VfGH hat in seiner Entscheidung in diesem Fall die Nichtnachprüfbarkeit von Bemängelungsentscheidungen als bedenklich bezeichnet, aber nichts weiter unternommen.
Sollte Vivendi aber vor dem EGMR recht bekommen, dann "kann der Gesetzgeber das nicht mehr ignorieren", sagt Pitkowitz. "Dann müsste das gesamte Gerichtsgebührensystem umgedacht werden." Sinnvoll wäre vor allem eine Deckelung wie in Deutschland.

Die Gerichtsgebühren stünden auch den Bemühungen im Weg, Wien als Schiedsstandort zu etablieren, fügt Pitkowitz hinzu. In Schiedsverfahren seien hohe Streitwerte problemlos, in einem späteren Aufhebungsverfahren aber würden hohe Kosten auflaufen. (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2009)