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Die Ketogene Diät macht sich den fastenähnlichen Zustand, der durch die Stoffwechselumstellung entsteht, zu Nutze

Foto: AP/Matthias Rietschel

Neu ist das Prinzip der Ketogenen Diät nicht - im Gegenteil. Erwähnt wurde sie schon in der Bibel, wurde die Epilepsie doch früher als "göttliches Zeichen" gesehen. Gezielt eingesetzt wurde sie erstmals 1921: Man hatte bei vielen Epilepsiepatienten weniger Anfälle beobachtet, wenn sie hungerten. Für die Ketogene Diät hat man den Zustand des Kohlenhydratmangels beim Hungern mit ausreichender Kalorien- und Proteinzufuhr kombiniert. Das Wissen darüber, dass Anfälle zurückgehen, wenn man den Körper mit Hunger konfrontiert, ist also alt. Mit der Erfindung der ersten Antiepileptika wurde das Wissen wieder in den Hintergrund gedrängt. Immerhin bedeutet die Diät eine schwere Umstellung des Stoffwechsels und ist mit großen Mühen verbunden.

Erst als 1997 der Film "First Do no Harm" mit Meryl Streep herauskam, rückte die alternative Therapieform wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Schlüsselfigur für den Film war der epilepsiekranke Sohn Charly des Hollywoodproduzenten Jim Abrahams, dem an diversen amerikanischen Kliniken nicht geholfen werden konnte und der am John Hopkins Hospital in Baltimore mit Hilfe der Ketogenen Diät anfallsfrei geworden war. In den vergangenen zehn Jahren ist die Diätform mehr beforscht worden, unter anderem weil man trotz Neuzulassungen von Antiepileptika, manche Epilepsieformen nicht in den Griff bekommt.

Nicht nur Majonäse

Das Bild von Kindern, die sich nur von Waffeln mit Majonäse ernähren, ist seither ins Reich der Mythen gerückt. Es gibt eine Vielzahl an fettreichen Rezepten, die individuell an die Kinder angepasst werden können. Dennoch: Die Speisen müssen peinlichst genau berechnet werden, die Kinder müssen sich ausschließlich von den speziell zubereiteten Mahlzeiten ernähren. Mittlerweile gibt es auch Fertignahrung, mit der man die Diät heute, vor allem bei ganz kleinen Kindern über das Fläschchen, besser durchführen kann. Bei der Durchführung steht ein Diätassistent zur Seite, die Therapie muss immer unter ärztlicher Aufsicht stattfinden. Meist ist das Verhältnis von Fett zu Protein und Kohlenhydraten dabei 4:1.

Behandlungsform bei Therapieresistenz

"Die Diät wird dann angewendet, wenn alle Standardtherapien mit Medikamenten nicht nützen und ausgeschlossen ist, dass ein epilepsiechirurgischer Eingriff zu einer Heilung führen kann", erklärt Martha Feucht, Epileptologin am Wiener AKH . Im Moment sei sie eine Alternative vor allem bei sehr schweren, sehr früh manifestierenden Epilepsien. Allerdings gibt es zwei Stoffwechseldefekte, bei welchen es die Therapie der Wahl ist, der bekannteste ist der Glut-1-Deffekt. Diese Menschen müssen die Diät sogar lebenslang machen.

Erfolge, aber "keine überzogenen Hoffnungen"

In Österreich gibt es schon recht gute Erfolge mit der Diät. Am Wiener AKH sind bis jetzt rund 60 Kinder mit unterschiedlichsten Epilepsieformen neben der Therapie mit einem Antiepileptikum auf die Ketogene Diät eingestellt worden. Generell werden die Kinder wacher, lernbereiter und konzentrierter. Auch Sabine Scholl-Bürgi bestätigt gute Erfolge, sie ist Pädiaterin und Ernährungswissenschafterin und behandelt zusammen mit der Epileptologin Edda Haberlandt Kinder mit Epilepsie an der Uniklinik in Innsbruck: "Die Kinder können besser handeln, die Krampfanfälle gehen bei vielen zurück." Es gebe wenige, bei denen nicht in irgendeiner Form eine Verbesserung auftrete. "Man muss es ausprobieren. Je schneller ein Kind anspricht umso besser", so die Pädiaterin. Meist dauere es wenige Tage bis Wochen, bis ein Effekt bemerkbar sei, allerdings gebe es auch "Spätstarter", bei denen es mehrere Monate dauere.

Auch Stoffwechselexperte Wolfgang Sperl von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburger Landeskliniken ist von der Wirkung der Ketogenen Diät überzeugt: "Im Vergleich zur Wirkung mancher Antiepileptika, ist die Reduktion der epileptischen Anfälle durch die Stoffwechselumstellung fast gleichwertig." So gingen Anfälle laut einer Studie (Biton et al 1999, Motte et al 1997, Neal et al 2007, Anm.) um 40 Prozent zurück.

"Die Diät ist aber nicht für jeden Patienten mit Epilepsie das Optimum", so Feucht. Sie warnt auch vor überzogenen Erwartungen: "Dauerhaft anfallsfrei waren am AKH nur ganz wenige und Anfallsfreiheit sollte das Hauptziel sein." Wobei an einer Universitätsklinik ganz schwere Fälle in Behandlung seien.

Potenzial in der Anwendung

In den USA gilt das John Hopkins Hospital in Baltimore mit den Medizinern Kossoff und Freeman als Vorreiter bei der Behandlung mit Ketogener Diät. "Das Problem ist, dass die Ketogene Diät in Europa einen viel niedrigeren Stellenwert hat als in den USA, daher gibt es bei uns auch weniger Erfolge", meint Scholl-Bürgi. "In Österreich wird meist erst mit der Diät begonnen, wenn drei oder vier Medikamente nicht anschlagen", kritisiert sie. Sie ist überzeugt, dass die Ketogene Diät noch großes Potenzial hat: "Es wird vermutet, dass sie auch bei Typ2 Diabetes und Gehirntumoren gut wirkt, das wird wissenschaftlich noch zu prüfen sein." Auch Sperl sieht in der Ketogenen Diät "ein sehr interessantes Forschungs- und Anwendungsgebiet, von dem weltweit Fortschritte zu erwarten sind."

Wirkung

Doch wie kann eine Diät eine neurologische Erkrankung beeinflussen? "Das funktioniert mit einer Stoffwechselumstellung. Das Gehirn ist gezwungen sich nicht nur mit Glukose Energie zu verschaffen, sondern auch mit Ketonkörpern", erklärt Feucht. Ketonkörper werden auch produziert, wenn ein Mensch hungert. "Man glaubt, dass sich über die geänderte Energiezufuhr an den Neurotransmittern im Gehirn etwas ändert." Im Detail hat man den Wirkmechanismus der Ketogenen Diät - mit Ausnahme des Glut-1-Defekts - noch nicht geklärt. Laut den Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie wird sogar eine "komplexe Interaktion mehrerer Effekte" vermutet, "welche die synaptische Funktion stabilisieren und damit die zerebrale Krampfbereitschaft senken." "Die Hoffnung ist aber eigentlich die, dass irgendwann Tabletten entwickelt werden können, die das gleiche können wie die Diät", so Feucht.

Nebenwirkungen

Laut den Leitlinien hat die Ketogene Diät wenig Nebenwirkungen. In der Einleitungsphase kann es aber zu Erbrechen, Durchfall und Nahrungsverweigerung kommen. Aufpassen muss man vor allem, dass die Patienten keine versteckten Zucker aufnehmen, die in Zahnpasta oder verschiedenen Medikamenten enthalten sein können. Mittelfristig kann es zu Verstopfung und Nierensteinen kommen. Daher müssen die Kinder auch viel trinken.

Wenig ist über die langfristige Wirkung der fettreichen Ernährung bekannt. "Man weiß bis heute nicht, was es bedeutet so hoch dosiert Fett zuzuführen", sagt Feucht. Man wisse nicht viel über das spätere Schlaganfallrisiko und andere Störungen, die man durch ausschließlich fettreiche Ernährung bekommen kann. Dazu laufen derzeit Untersuchungen. Vitaminmangel wird heute mit Vitaminpräparaten ausgeglichen. Auch Spurenelemente, wie Kalzium, müssen supplementiert werden.

Dauer der Diät

Kinder werden zwei Jahre lang auf die Ketogene Diät gesetzt, manche brechen allerdings auch vorher ab. "Die Rückfallsquote nach Absetzen der Diät ist hoch", sagt Feucht. Allerdings gibt es auch Ausnahmen: Charlie, der Sohn des Hollywoodregisseurs, ist bis zum heutigen Tag anfallsfrei, hat aber Beeinträchtigungen. "Laut Literatur kann der Effekt der Diät bestehen bleiben, allerdings gibt es aber auch Rückfälle", schildert hingegen Scholl-Bürgi ihre Erfahrung.

Das Wissen weitergeben

Erfahrung als betroffene Mutter hat die Oberösterreicherin Veronika Blum. Ihr dreijähriger Sohn leidet unter einer schweren Form der kindlichen Epilepsie und spricht nicht auf Medikamente an. Seit er auf Ketogene Diät gesetzt ist, sei er nahezu anfallsfrei. Auch andere Fortschritte seien bemerkbar: Das Kind wurde ruhiger, hat zu spielen begonnen, begann zu sprechen und wurde fröhlicher.

Blum hat den Verein "Ciros Centrum" gegründet - mit dem Ziel zu informieren: "Jeder, Ärzte und Patienten, soll wissen, dass es die Möglichkeit dieser Diät gibt." Ihr ist wichtig, dass man der Diät Zeit gibt, nicht so schnell aufgibt. "Ich will allen Mut machen, bei denen es eckt, aber es gibt auch keine Garantie, dass es bei jedem Kind wirkt", so Blum. (Marietta Türk, derStandard.at, 4.2.2009)