"Einen Nationalratspräsidenten mit Verachtung zu strafen ist eine schwierige Sache."

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Wolfgang Benz eröffnete die Tagung "NS-Herrschaft in der Steiermark" in Graz.

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Standard: Am Ende Ihres Vortrags über Tendenzen und Defizite der NS-Forschung wurden Sie von einem Ihrer österreichischen Kollegen darauf hingewiesen, dass in Österreich immer noch innerhalb von Familien nationalsozialistisches Gedankengut tradiert wird. Warum ist das in Deutschland anders?

Wolfgang Benz: Das ist in Deutschland tatsächlich ein größeres Tabu. Das Glück in Deutschland ist, dass hier klar kommuniziert wurde: ,Das sind die blutbefleckten.‘ Im Radio, in den Schulen - überall wurde das dem deutschen Publikum sehr schnell klargemacht.

Standard: Im österreichischen Schulunterricht war die NS-Zeit noch in den 70ern kein Thema.

Benz: Das hat damit zu tun, dass in Deutschland die Katastrophe größer war: Es war ein besetztes Land, vollkommen am Boden, und alle wussten genau, warum. Wir wussten auch, wir müssen artig sein, damit wir wieder mitspielen dürfen. Österreich hatte eine Regierung, die mit Opfern und ehemaligen Widerstandskämpfern besetzt war. Die waren auf Augenhöhe mit den Befreiern.

Standard: Wie kann man heute stärker Aufklärung leisten?

Benz: Das ist Aufgabe der Eliten, dass man sich darüber verständigt, dass es selbstverständlich ist, dass gewisse politische Normen eingehalten werden müssen.

Standard: In Österreich wurde im Herbst der FPÖ-Politiker Martin Graf, Mitglied einer rechtsextremen Burschenschaft, zum Dritten Nationalratspräsidenten gewählt.

Benz: Ja, diese Geschichte wäre in Deutschland so undenkbar.

Standard: Sorgen seine Wahl und die Berichte über rechtsextreme Umtriebe seiner Mitarbeiter in Deutschland für Aufsehen?

Benz: Ich glaube, weniger. Jörg Haider wurde wahrgenommen, und auch, dass er jetzt zur Kultfigur stilisiert wird. Das löst größtes Erstaunen aus. Als ich in meinem Hotelzimmer in Graz den Fernseher aufdrehte, dachte ich, ich falle um: Da war ein singender Haider!

Standard: Ich nehme an, mit Almhütte und Männerchor?

Benz: Ja, genau! Ich meine, wir hatten ja auch den Möllemann, aber der ist mit seinem tödlichen Unfall von der Agenda verschwunden, obwohl der sehr spektakuläre antisemitische Angebote machte.

Standard: Wo sehen Sie die Aufgabe der Medien gegenüber Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus?

Benz: Das ist schwierig. Einerseits schafft man Rechten eine Plattform, ohne die sie in die Bedeutungslosigkeit abrutschen. Deshalb bin ich immer für öffentliche Ablehnung und Verdammung mit Augenmaß. Wenn sie einen Neonazi ins Fernsehen holen und dort abwatschen, dann freut den das natürlich und seine Kameraden feiern ihn. Grundsätzlich gilt aber als die bessere Haltung: Man muss den Leuten sagen, dass das pfui ist! Vor allem dann, wenn es gesellschaftlich noch immer akzeptiert ist. Man muss solche Menschen mit Verachtung strafen. Aber natürlich: Einen Nationalratspräsidenten mit Verachtung zu strafen ist eine schwierige Sache.

Standard: Wie hat man die Beleidigungen der Grazer FP-Politikerin Susanne Winter gegen den Islam in Deutschland aufgenommen?

Benz:
Eigentlich nur unter der Rubrik Kuriositäten.

Standard: Ich muss eine Frage wiederholen: Kann man noch "aufklären" , oder muss man warten, bis rechtes Gedankengut ausstirbt?

Benz:
Die sterben nicht aus. Die in bürgerlicher Garderobe daherkommenden Nationalen wachsen nach. Man muss sehen, dass man da rauskommt - mit Aufklärung. Bei der Angst darf man es nicht stehenlassen. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, Printausgabe, 31.1.2009)