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Begeisterter Empfang in Istanbul für den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan nach seiner Rückkehr aus Davos Freitagfrüh. Es wurde aber auch Kritik an seinem ungestümen Stil laut.

Foto: epa/Okten

Die Szenen vom Skandal in Davos flimmerten kurz nach 20 Uhr über die türkischen Bildschirme. Alle Nachrichtenkanäle hatten Liveschaltungen zur Podiumsdiskussion über den Gaza-Konflikt, an der - neben dem israelischen Präsidenten Shimon Peres, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Arabische-Liga-Chef Amr Moussa - der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan teilnahm.

„Was würden Sie denn tun, wenn Raketen auf Istanbul abgeschossen würden?", sprach Peres, nach der Kritik seiner Vorredner, Erdogan direkt an. Ein emotionaler Erdogan zu Peres: „Sie sind älter und haben eine laute Stimme. Das entspringt Ihrem schlechten Gewissen." Israel töte kleine Kinder, die an den Stränden spielten: „Wenn es ans Töten geht, wisst Ihr sehr gut, wie man Menschen tötet." Auf die Versuche des Moderators, ihn zu stoppen, verließ Erdogan wütend den Saal.

Bald darauf wurde in Istanbul bekannt, dass sein Flugzeug gegen zwei Uhr morgens landen würde - und die U-Bahnen zum Flughafen in Betrieb bleiben würden, zur kostenlosen Benützung. Die Regierungspartei AKP mobilisierte tausende Anhänger als Empfangskomitee, die mit türkischen und palästinensischen Fahnen skandierten: „Kahrolsun Israil!" (Nieder mit Israel) und „Die Welt hat einen Ministerpräsidenten erlebt!".

Der frisch angekommene Premier hielt noch am Flughafen eine Ansprache und sagte: „Peres gab unakzeptable Dinge von sich. Ich bin doch kein Stammeshäuptling, ich konnte das nicht hinnehmen." Am Nachmittag präzisierte er auf einer Wahlveranstaltung: „Wir kritisieren nicht Israel an sich, sondern die Phosphorbomben und die konkrete Politik seiner Regierung, die hunderte Menschenleben gekostet hat."

In der Türkei steht die Mehrheit hinter Erdogans Israel-Bashing. Es gibt eine große Allianz zwischen links und rechts, islamisch und säkular, wenn es um das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser geht. Die Kritik an Jerusalem schießt dabei oft über das Ziel hinaus. Die Existenz Israels wird oft offen infrage gestellt.

Die Stadtverwaltung ließ es beispielsweise zu, dass eine islamische Hilfsorganisation die Istanbuler Billboards mit Großplakaten schmückte, auf denen Sprüche wie „Du bist nicht Moses' Kind" und Auszüge aus dem Alten Testament zu lesen waren. Grundschüler wurden per Dekret des Bildungsministers zu einer Schweigeminute für Gaza angehalten und Eltern wurden mit einem Ministerialschreiben um Spenden gebeten. Gaza hat die türkische Gesellschaft wie kein anderes internationales Thema mobilisiert.

Obwohl Erdogan unermüdlich betont, dass „der Antisemitismus genauso inakzeptabel ist wie die Islamophobie", fühlen sich Juden in der Türkei zunehmend bedroht. Der Verband türkischer Juden veröffentlichte jüngst eine Erklärung und kritisierte die israelische Gaza-Politik, aber auch den steigenden Antisemitismus im Lande. Menschenrechtler sammeln Unterschriften.

Am 29. März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt und das Thema Israel kommt Erdogan sehr gelegen. Nach Meinung mancher Kommentatoren wie Kerem Caliskan von der Tageszeitung Hürriyet versucht Erdogan mit seinen Verbalattacken gegen Israel Stimmen zu gewinnen und handelt wahltaktisch und populistisch.

Mit Israel verbindet die Türkei eine enge militärische Zusammenarbeit. Erdogan versuchte sich zuletzt als Vermittler zwischen Syrien und Israel und für einen israelisch-palästinensischen Gefangenenaustausch. Laut Erdogan in Davos war man nahe an einer Einigung, als Israel am 27. Dezember Gaza angriff. Erdogan nahm es Israels Premier Ehud Olmert, der am 23. Dezember noch in Ankara gewesen war, persönlich übel, dass er ihn nicht vorab informierte. (Dilek Zaptçioglu aus Istanbul, STANDARD, Printausgabe, 31.1.2009/1.2.2009)