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Stress für den verletzten Körper reduzieren, ist die intensivmedizinische Devise

Foto: AP/Jens Meyer

Beim schwer verunglückten Schweizer Skiprofi Daniel Albrecht wurde er genauso angewandt, wie bei Kindern, die an der Alten Donau beim Eislaufen eingebrochen sind, dem vergifteten Spitzer Bürgermeister Hannes Hirtzberger oder dem ehemaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil: der "künstliche Tiefschlaf". Handelt es sich dabei um ein neues Wundermittel bei schweren Erkrankungen? "Nein", sagt Norbert Mutz, Leiter der Intensivmedizin an der Innsbrucker Universitätsklinik und behandelnder Arzt von Daniel Albrecht, es sei eine Methode, die sich über Jahre kontinuierlich entwickelt hat. Neue Medikamente und intensivmedizinische Überwachungsgeräte machen es möglich, körperliche Abwehrreaktionen so zu beeinflussen, dass der Organismus therapeutische Maßnahmen zulässt.

"Der künstliche Tiefschlaf wird eingesetzt, wenn die Grunderkrankung große Risiken birgt und diese so behoben werden können", erklärt der Intensivmediziner und Medizinische Direktor des AKH Linz Heinz Brock das Behandlungsprinzip. Früher war das anders. Noch in den 70er-Jahren wurde bei schwerverletzten Patienten versucht, "was eben ging, wurde eingesetzt, was verfügbar war." Es war eine Art Aktionismus, um Leben zu retten, der heute Therapien gewichen ist, die sich bewährt haben, so Brock.

"Analgo-Sedierung" heißt der künstliche Tiefschlaf im Fachbegriff und es war Mutz, der die populäre Bezeichnung nach dem Unfall einer Skirennläuferin prägte, weil den medizinischen Terminus habe niemand verstanden, schildert er und beteuert, dass er es bereut. Denn was einfach klingt, werde auch als unkomplizierte Methode wahrgenommen.

Varianten der Betäubung

Tatsächlich sei aber das Gegenteil der Fall. Analgo-Sedierung sei nicht eine einheitliche Therapie, sondern hänge stark vom Zustand des Patienten ab. Die Sedierung - erreicht durch schmerzsenkende Arzneimittel und Beruhigungs- oder einfacher gesagt Schlafmittel - könne leicht oder auch sehr tief sein und laufend verändert werden, präzisiert Mutz. "Dazu braucht es ein Team von intensivmedizinischen Spezialisten sowie ein konsequentes Monitoring von Körperreaktionen, wie etwa Schwitzen oder Tränenfluss aber auch Blutdruck, Herzfrequenz oder biochemische Parameter."

Bei einer leichten Sedierung schläft ein Patient zwar, ist aber kooperativ, öffnet also auf laute Ansprache oder Berührung die Augen. Auch bei einer tiefen Sedierung gibt es prompte Reaktion auf Schmerzreize. Das unterscheidet den künstlichen Tiefschlaf übrigens von der Vollnarkose, bei der sämtliche Körperreaktionen ausgeschaltet werden.

Angewandt wird die Analgo-Sedierung, um einen schwerverletzten oder erkrankten Körper vor Stressreaktionen zu schützen, sagt Brock. Und Mutz bestätigt: "Organe und Zellen verbrauchen bei Verletzungen mehr Energie." Konkret steigen Blutdruck, die Herzfrequenz oder Körpertemperatur, der Sauerstoffverbrauch nimmt zu, weil der verletzte oder geschädigte Körper mehr Brennstoff in Form von Zucker und Sauerstoff braucht. "Diese Reaktionen versucht man mithilfe der Sedierung zu bremsen. Je nach Zustand des Patienten wird mehr Schmerz- oder mehr Beruhigungsmittel eingesetzt", so Mutz. Dadurch lasse sich der betroffene Körper mehr gefallen - eine künstliche Beatmung zum Beispiel oder innere Reize, die durch Bakterien verursacht werden. "Ziel ist es, Organe zu schützen, damit sie auf Reize nicht zu stark reagieren und weiterhin ihre Aufgaben verrichten."

Genau dosiert

Ein Beispiel: Beim Skirennläufer Albrecht ist die Atmung durch Prellungen im Lungenbereich beeinträchtigt und wird deshalb maschinell unterstützt. Da er eine bakterielle Infektion hat, soll der Skirennläufer husten, um sich so von Verschleimungen selbst zu befreien. "Der Husten ist gut, aber nur, wenn er nicht zu stark ist", sagt Mutz. Und genau das lasse sich durch die Tiefe des Schlafes steuern.

Ähnlich kompliziert verläuft der Prozess der Reduktion der Sedierung. Mutz: "Ich wehre mich gegen den Begriff aufwecken, weil das so klingt, als gebe man ein bis zwei Medikamente und wecke jemanden dann auf. Wir haben eine 24-stündige Überwachung und eine laufende Anpassung an die Bedürfnisse des Patienten und der begleitenden Therapie."

Brock und Mutz räumen aber auch Risiken ein. Zum einen besteht bei tiefen Sedierungen die Möglichkeit, dass ein Patient ins Koma fällt. "Jede Überdosierung könnte soweit führen. Deshalb ist es wichtig, dass das auch nur Spezialisten machen", sagt Mutz. Das zweite Problem bei langen Schlafphasen ist, laut Brock, dass es durch die tage- oft wochenlange Immobilität des Patienten zu einem massiven Muskelabbau kommt. "Hier muss man mit Physiotherapie gegensteuern", sagt Brock. (Martin Rümmele, DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2009)