Etwas, wofür sich bereits in den vergangenen Jahren niemand interessiert hat - denn komplexe Sachverhalte müssen, wenn einfache Urteile gefällt werden sollen, in den Hintergrund gedrängt werden -, dürfte im Gazastreifen gerade wieder aktuell sein: ein Machtkampf zwischen pragmatischen und radikalen Kräften innerhalb der Hamas.

In das angesichts der Opfer zynische Siegesgeschrei von Hamas-Vertretern mischen sich Stimmen, die die politische Chance des Augenblicks ergreifen wollen: Sie besteht in der Erkenntnis der internationalen Gemeinschaft, auch der USA, dass neue Wege aus der Sackgasse gesucht werden müssen. Wenn eine Versöhnung zwischen Hamas und Fatah zustande kommt, ist heute die Wahrscheinlichkeit größer als je zuvor, dass die Hamas als politischer Faktor stillschweigend geduldet wird.

Vor allem jedoch wissen die Pragmatiker, dass nur durch eine Verständigung mit der Fatah das erreicht werden kann, was die Menschen in Gaza so dringend brauchen: ein Arrangement mit Israel über die Grenzöffnung zu Versorgungszwecken. In der Hamas gibt es Kräfte, die dafür einem unbegrenzten Waffenstillstand mit Israel zustimmen würden.

Aber natürlich gibt es die anderen auch: War die Promptheit und die Wucht des israelischen Angriffs am 27. Dezember eine Überraschung, so weiß die Hamas heute genau, dass sich die israelische Regierung nicht durch neuerliche Attacken als Verlierer vorführen lassen wird, ohne darauf zu reagieren. Diese Hamas-Leute wissen diesmal also genau, was sie tun, wenn sie Raketen abfeuern. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 30.1.2009)