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Betrachtet man den Anteil an Maturanten - getrennt nach früherem Besuch von Hauptschule oder AHS - so ergibt sich eine klare Stufenleiter nach vorheriger Schule und Bildung der Eltern.

Grafik: STANDARD

Wien - Das österreichische Schulsystem verstärke die soziale Ungleichheit statt sie auszugleichen: Das ist das Ergebnis einer dem STANDARD exklusiv vorliegenden Studie zur Bildungsbeteiligung des Österreichischen Instituts für Familienforschung. Demnach schwanken die Bildungschancen - je nach Herkunft der Kinder - beträchtlich. Die schlechtesten Aussichten, zumindest eine AHS-Unterstufe erfolgreich abzuschließen, haben Buben in ländlichen Regionen, deren Eltern nur Pflichtschulabschluss aufweisen. An der Spitze dieser Statistik stehen Mädchen, deren Eltern Akademiker sind und in der Stadt wohnen: 86 Prozent von ihnen werden die AHS-Unterstufe erfolgreich durchlaufen - und fast ebenso viele werden maturieren. Selbst Hauptschüler in einem Akademikerhaushalt haben zehnmal bessere Aussichten, trotzdem die Matura zu schaffen als Hauptschüler von Eltern der niedrigsten Bildungsschicht: 41 Prozent versus 4,8 Prozent. Studienleiter Martin Spielauer ortet "Handlungsbedarf" in der Bildungspolitik.

Heftige Reaktionen löst weiterhin der Plan von Bildungsministerin Gehrer aus, ab dem nächsten Schuljahr zwei Unterrichtsstunden zu streichen. Das soll schulautonom geschehen, was die Lehrer in den jeweiligen Schulgemeinschaftsausschüssen boykottieren wollen.

Deutliche Sprache

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während nur sieben Prozent der Buben und neun Prozent der Mädchen von Eltern der untersten Bildungsschicht am Land zumindest eine AHS- Unterstufe erfolgreich abschließen, beläuft sich diese Zahl bei in Städten lebenden Kindern von Akademikern auf satte 86 Prozent (Mädchen) und 82 Prozent (Buben).

"Das heimische Schulwesen verstärkt soziale Ungleichheiten, anstatt sie auszugleichen", resümiert Martin Spielauer im Standard-Gespräch sein derzeit laufendes Forschungsprojekt. Spielauer ist Leiter der sozioökonomischen Forschungsabteilung am Österreichischen Institut für Familienforschung.

Insgesamt besuchen doppelt so viele Kinder in der Stadt wie am Land ein Gymnasium. Betrachtet man die weitere Laufbahn der Hauptschüler, so sind es wiederum viel häufiger die Städter, die später trotzdem maturieren. Nach Schulbildung der Eltern (siehe Grafik) untersucht, schaffen 41 Prozent der Akademikerkinder, die vorher die Hauptschule besucht haben, eine Matura, aber nur 4,75 Prozent jener Hauptschüler, deren Eltern den niedrigsten Bildungsschichten angehören.

Nur mehr wenige europäische Länder praktizieren die frühe Selektion der Kinder mit zehn Jahren, kritisiert Spielauer: Das sind neben Österreich Teile von Deutschland und der Schweiz, die Slowakei, Tschechien und Ungarn. Der Forscher empfiehlt einen längeren gemeinsamen Unterricht der Kinder.

Pisa-Sieger Finnland habe vor Jahren vom heimischen auf das Gesamtschulsystem mit Ganztagsbetreuung umgestellt. Es gibt ein differenziertes Kurssystem, daher auch keine Klassenwiederholung. In Österreich liege die nachmittägliche Unterstützung der Kinder beim Lernen allein in Elternhand - womit bildungsferne Schichten überfordert sein können. Die enormen Summen, die in Österreich für Nachhilfe ausgegeben werden, sind ebenfalls schichtspezifisch. Laut den Forschungsergebnissen haben sich die Bildungschancen in den letzten zwanzig Jahren nicht verbessert, sprich: Kinder aus Familien mit niedriger Bildung haben schlechte Aussichten, ihre Eltern zu überflügeln. Wer das Glück hat, in einen Akademikerhaushalt hineingeboren zu werden, hat - auch am Land - beste Aussichten. Bei den Pisa-Ergebnissen liege Österreich zwar "sehr gut" im Mittelfeld. Doch von den Testsiegern sei man doch ziemlich weit entfernt, gibt Spielauer zu bedenken. Und im "dicht gedrängten" mittleren Feld könne man sehr leicht nach unten rutschen. (Martina Salomon/DER STANDARD, Printausgabe, 7.3.2003)