Gerhard Richter:
Motorboot (1. Fassung), 1965,
Öl auf Leinwand

Foto: Privatsammlung

Wien - Um den Affekt zu vermeiden, hat Gerhard Richter stets das Triviale bemüht, damit er ihm als Motiv dient. Und er hat sich einen Vorbilder-Atlas angelegt, den nachzumalen jede Betroffenheit vorweg ausschließen sollte. Die Kunst und die aktuelle Gemütsbewegung desjenigen, der sie ausführt, sollten ein für alle Mal getrennt voneinander verhandelt, die Emotion ins Private verbannt werden.

In der Tat können die Selbstbefindlichkeiten der Maler schon ganz gehörig auf die Nerven gehen; und irgendeiner Idee bedarf es schließlich, um dem ganzen Malen vielleicht doch noch ein weiteres, ein gültiges Bild abzuringen. Wo doch so gut wie alles schon in Öl und auf Leinwand festgehalten, gestenreich oder auch gefinkelt kalkuliert zur weiteren Beschauung aufgezeichnet wurde.
Als Motiv konnte zunächst nur herhalten, was unverbraucht war: Die Mizzi aus der Vorstadt beispielsweise anstelle von Pop-Art-verschlissenen Stars und Logos; oder das triste Einfamilienhaus anstatt der protzigen Immobilien-Ikone. Und die triviale Quelle wurde oft gleich mitzitiert.

Ismus-Treue

Man sieht dann: War ursprünglich im Stern; oder man erkennt die Herkunft des Sujets aus dem Fotolabor für Amateure an der malerischen Gleichbehandlung des Rahmens; oder entdeckt staunend Zirkel, Lineal und Rechenschieber als Werkzeuge der vermeintlich gestischen Abstraktion.
Stil ist sowieso ausgeschlossen, Handschrift oder gar Ismus-Treue für den in Dresden geborenen Künstler kein Thema. Richter, der 1972 an der Biennale von Venedig und mehrmals an der Documenta teilnahm, entkoppelt die Bildproduktion von allen Erwartungen Dritter, macht Herkunft und Machart offensichtlich. Was natürlich auch Vorteile hat. Gewaltige Vorteile. Einmal jeden Kitschverdacht wegargumentiert und das Pathos kraft Selbstverordnung ausgeschlossen, lässt sich endlich wieder alles malen, Abstraktes wie Gegenständliches, Minimalistisches wie Realistisches.

Lieblingsbilder

Können Kerzen wieder ohne Peinlichkeitsverdacht neben Totenschädeln von der Endlichkeit künden, ebenso verwelkte Blumen, können Kleine Badende ihrem angestammten Beruf des Nacktseins nachgehen und Wolken sich althergebracht dramatisch über leicht aufgebrachter See türmen. Gerhard Richter hat uns all das zurückgegeben. Er hat die Lieblingsbilder davon befreit, sich ihrer Wirkung wegen schämen zu müssen.

Die Albertina-Retrospektive auf den 77-jährigen Maler Gerhard Richter zeigt alle Facetten, sämtliche Ansätze eines penibel auf Abstand bedachten Werkes. Man sieht - mit letztlich unnötig vielen Exemplaren belegt - Richters Kommentare zu Buntheit, zu Virtuosität, zu Fotorealismus, Minimalismus oder Farbfeldmalerei. Man sieht, wie und worauf sich Richter ein Bild macht, unaufgeregt festhält, was ihn seit den 1950er-Jahren bewegt und deshalb Abstand fordert.

Leihgaben bedeutender Sammlungen sowie Werke aus dem Besitz Gerhard Richters selbst belegen die unterschiedlichen Werkphasen von 1957 bis 2007. Ein wesentlicher Teil der Exponate stammt aus der Sammlung Frieder Burda, der Sammlung Böckmann und der Sammlung Ströher, Größter Leihgeber der wenig bekannten Aquarelle ist das Kunstmuseum Winterthur. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.1.2009)