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Der zehnjährige Azharuddin, hier vor dem Zelt, in dem er im Slum von Mumbai wohnt, ist einer der Darsteller im Oscar-nominierten Drama "Slumdog Millionaire"

Foto: AP

Er wird dort als indischer Film gefeiert.

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Slumdog Crorepati heißt der Film über den Aufstieg eines Buben aus den Slums auf Hindi. Unter Buchmachern gilt er wegen seiner anrührenden Geschichte als sicherer Tipp für zumindest einen Oscar.


Aber wie reagieren Publikum und Filmschaffende in Indien, dem Schauplatz des Films, auf den im Ausland hoch ausgezeichneten, aber auch als sensationalistisch und mit "Nothing sells like Poverty" -Vorwürfen kritisierten Film?

Das Kinopublikum in der allerersten Slumdog-Vorstellung in einem Multiplex in Neu-Mumbai hält quasi kollektiv den Atem an. Auf der Leinwand springt der sechsjährige Protagonist Jamal soeben in eine randvoll gefüllte Fäkaliengrube, um ein Autogramm des Bollywood-Stars Amitabh Bachchan zu ergattern. Der Mann ist einer Studie zufolge weltweit bekannter als der ehemalige Präsident der USA, George Bush. Die Stille ist greifbar, und es schint garantiert, dass sich Slumdog auch in Indien, zumindest in den Städten, als echter "crowd pleaser" entpuppen wird. Fragen nach Authentizität werden da sekundär.

Demonstrationen gegen Film

Wenige Stunden zuvor hatte sich eine Demonstration einiger Dutzend Slumbewohner vor der Villa des Bollywood-Superstars Anil Kapoor versammelt. Er verkörpert in Danny Boyles Sozialdrama den Millionen-Quiz-Showmaster Prem Kumar. Die Slumbewohner empfinden den Titel des Films als beleidigend und wollen seine Änderung erzwingen. Die 18-jährige Rekha Dhamji bringt im Gespräch den Unmut der Demonstranten auf den Punkt: "Ich mag zwar arm sein, will aber nicht Hund genannt werden." Nicholas Almeida, ein Sozialarbeiter, der die Demonstration organisiert hat, will eine Klage bei Gericht einreichen.

Auf der Premierenparty am selben Abend herrscht hingegen Euphorie pur. Wenige Stunden zuvor sind die zehn Oscar-Nominierungen bekannt geworden. Danny Boyle, der sich am Vorabend bei einer Pressekonferenz in New Delhi noch kritischen Fragen stellen musste, ist bester Dinge. Um die Schauspielerin Freida Pinto - Slumdog ist ihr allererster Film - bilden sich Trauben von Produzenten, Regisseuren, Schauspielern und neuen besten Freunden. Ihr Kollege Saurabh Shukla, der ebenfalls in Slumdog Millionaire mitspielt, äußert sich überrascht darüber, dass Danny Boyle auch nicht anders mit Schauspielern arbeitet als die Bollywood-Regisseure Sudhir Mishra, Rajkumar Hirani oder Ram Gopal Varma.

Seit den Golden-Globes-Auszeichnungen und den Oscar-Nominierungen wird Slumdog von der indischen Presse als indischer Film gefeiert. Dass Regisseur Danny Boyle, der Drehbuchautor Simon Beaufoy und die Produktionsfirma Celador Films Briten sind, stört da nicht weiter. Schließlich ist dafür Mumbais Dhararvi-Slum - übrigens der größte in Asien - echt indisch. Ebenso wie die Besetzung, die Co-Regisseurin Loveleen Tandan, der Komponist A.R. Rahman und der Autor Vikas Swarup, auf dessen Roman Q and A das Drehbuch basiert.

In Indien scheinen die Zuschauermassen der ersten Woche dem Rest der Welt sagen zu wollen, dass es sich bei Slumdog tatsächlich um einen indischen Film handelt. (Arno Krimmer aus Mumbai, DER STANDARD/Printausgabe, 28.01.2009)