Der Aufwand ist enorm für Hans Pfitzners immer wieder einmal hervorgeholtes Künstler-, Kirchen und Musik-Opus Palestrina. Für die 39 Rollen braucht es zumindest ein paar ganz hervorragende Solisten. Diesbezüglich hat Intendant Nikolaus Bachler für die jüngste Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper in München sozusagen aus dem Vollen geschöpft.

Das fängt an bei dem mit guter Kondition und innerer Teilnahme an den Forderungen der Welt und seinem Genie mit überzeugendem Schmerzenstenorschmelz leidenden Christopher Ventris in der Titelpartie. Es geht weiter mit einem Borromeo, den Falk Struckmann wie einen Überwotan wuchtet, über John Daszak als intrigant wendigen Italiener Novagerio und Wolfang Koch als dessen spanischen Gegenspieler Graf Luna - bis hin zu Michael Volle, der als päpstlicher Legat Morone natürlich ein imponierender stimmlicher Fels in der wogenden Brandung des aus dem Ruder laufenden Konzils im zweiten Akt ist. Auch die raren Frauenrollen sind mit Christiane Karg als Palestrinas Sohn Ighino und Gabriela Scherer als sein Schüler Silla in besten und deutlich artikulierenden Kehlen.

Selbst für die in ihrem eigenen Haus in Hamburg nicht immer ganz glücklich agierende Simone Young wurde ihr Ausflug ans Pult des Bayerischen Staatsorchesters zu einem Erfolg. Musikalisch also, zumal für ausgemachte Pfitzner-Fans, lohnt sich die Münchner Bemühung um die 1917 hier uraufgeführte "musikalische Legende".

Das Problem bleibt das Stück selbst. Und in München auch seine szenische Umsetzung. Mag ja sein, dass der Chef des Münchner Volkstheaters, der Jedermann-Aufmöbler Christian Stückl, nicht zuletzt wegen seiner Oberammergau-Erfahrung, ein Fachmann fürs Katholische auf der Bühne ist. Produktives szenisches Kapital konnte er bei seiner (erst) dritten Opernregie daraus aber nicht schlagen.

Um offenzulegen, ob Pfitzners in eifrig bemühter Wagner-Nachfolge gedichteter und mit großer, aufwändig spätromantischer Geste komponierter, über weite Strecken detailliert selbstreflexiver Diskurs über die Quellen der Kunst und die Bedrängnisse des Genies heute Relevanz hat, bräuchte es szenische Reibung und einen durchdacht interpretierenden Widerstand.

Clou an Plattheit

Der mittlere, einigermaßen unterhaltsame Akt böte mit seinen klerikalen Intrigen und der Unfähigkeit, jenseits nationaler Interessen eine Einigung zu finden, sogar die Vorlage für hochaktuelle Reflexionen. Doch das bleibt Stückl schuldig. Er beschränkt sich auf eine holzschnittartige, platt illustrierte Bebilderung im quietschbunten Popartformat. Die symmetrisch abstrakte Raumarchitektur von Ausstatter Stefan Hageneier bleibt so unverbindlich, wie das Personal in seinen stilisierten Kirchengewändern, die grün beflügelten Schwebeengel oder die Riesenmasken mit klimpernden Augen und bewegten Lippen für die Erscheinung von Palestrinas verstorbener Gattin Lukrezia und den Papst persönlich. Der Clou an Plattheit ist eine gleich mehrfach aufkreuzende Stretchlimousine aus einem vatikanischen Comic-Fuhrpark, wie ihn sich Stückl so denkt.

Alles in allem bleibt Pfitzners "Palestrina" trotz musikalischer Nobelverpackung damit in dieser mit Hamburg koproduzierten Version ein Problemfall. Und weckt so fast schon wehmütige Erinnerungen an die Wiener Produktion von Herbert Wernicke von 1999. (DER STANDARD/Printausgabe, 28.01.2009)