ORF-Journalistin Krista Fleischmanns Koffer voller Erinnerungen an den am 12. Februar 1989 gestorbenen Thomas Bernhard.

 

 

Foto: STANDARD / Heribert Corn

Krista Fleischmann über Thomas Bernhard: "Monologisieren war seine Sache."

 

Zur Person:
Die Wiener ORF-Journalistin Krista Fleischmann produzierte mit Thomas Bernhard in den 80er-Jahren die legendären TV-Porträts "Monologe auf Mallorca" und "Die Ursache bin ich selbst". Sie liegen jetzt als DVD bei Suhrkamp vor.

 

 

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Vor 20 Jahren, am 12. Februar, starb mit Thomas Bernhard der auch international renommierteste Autor der österreichischen Nachkriegsliteratur. Hinter der allgegenwärtigen Vermarktung werden die Konturen eines Hochsensiblen sichtbar. Mit Krista Fleischmann sprach Christian Schachinger.


Standard: Frau Fleischmann, was für ein Mensch war Thomas Bernhard? Von Peter Matt gibt es den Satz: "Große Kunst entsteht in der Wildnis, dort leben keine Schafe." Muss man ihn sich so vorstellen?

Fleischmann: Bernhards Literatur ist nicht in der Wildnis entstanden, sondern in der zivilisierten Gesellschaft. Er hat eigentlich während Auslandsaufenthalten in Hotels geschrieben, einfach weil dort die Möglichkeit bestand, der täglichen Mühsal zu entkommen. Er hat dann schon auch in seinem Bauernhaus in Ottnang Stücke wie Heldenplatz verfasst oder in der Wiener Wohnung seiner Tante. Sehr oft aber auf Reisen. Da hatte er ein angenehmes Klima, ein besseres Ambiente. In den Hotelrestaurants ist das tägliche Versorgungsproblem weggefallen.

Standard: Wie haben Sie Thomas Bernhard kennengelernt? Ich nehme an, Sie haben ihn nicht kontaktiert, um gleich diese großen, heute berühmten Fernsehporträts mit ihm zu besprechen.

Fleischmann: Meine Sporen habe ich mir in der aktuellen Berichterstattung über ihn verdient. So sind wir uns über sieben Jahre hinweg nähergekommen. Ich hab dann bezüglich seiner etwas schwierigen Art auch einmal gesagt: "Mit mir können Sie es ja machen, ich spiele immer brav die Rolle mit, die Sie für mich vorgesehen haben." Da ist er aber gleich aufgefahren: "Wie können Sie so etwas sagen, Sie stellen Ihr Licht unter den Scheffel! Ich spreche mit Ihnen, weil es mir angenehm ist. Ich kann mich auf ein ernsthaftes Gespräch über philosophische Fragen und den Inhalt meiner Bücher nicht einlassen. Das ist mir ganz unmöglich. Mit Ihnen ist das ein angenehmer Plauderton. Da kommt vielleicht etwas Gescheites heraus." Natürlich war es dann so, dass es, wenn ich ihm Kontra gegeben habe, aus war. Dann ist er verstummt. Er wurde böse: "Wie können Sie so etwas sagen?! Ich kann keinem Gegenüber antworten, das mich ständig irritiert und mich infrage stellt!"

Standard: Darüber sind wir verschiedener Meinung, darüber können wir nicht diskutieren?

Fleischmann: Er stellte an seine Literatur und an sich selbst die höchsten Ansprüche. Oberflächliche Gespräche über seine Bücher waren ihm ein Gräuel. Deshalb ist er dann gern in Wortspielereien verfallen. Bis hin zum Kalauer. Er hat sich selbst während des Redens hochgeschaukelt, bis es ins Absurde gekippt ist. Das war sicher ein Schutzschild. Er hat Menschen nur sehr ungern an sich herangelassen.

Standard: Bestand vonseiten Bernhards möglicherweise nicht das Bedürfnis, sich in den Fernsehporträts als Schriftsteller zu inszenieren, der eigentlich eine nicht ganz so strenge, geisteskalte Person ist, wie es in seiner Literatur vermittelt wird?

Fleischmann: Im persönlichen Gespräch war er von einer Gefühlswärme, die ich nur bei wenigen Menschen kennengelernt habe. Er hat ja auch immer wieder gesagt: "Frau Fleischmann, Sie unterscheiden nicht zwischen meiner Person und meiner Literatur! Meine Literatur ist eine hochkonzentrierte Arbeit. Das sind Kompositionen nach musikalischen Kriterien. Aber stellen Sie sich vor, wenn ich das im täglichen Leben weiterspielen müsste, da würde ich ja zerspringen!" Diese Fernsehplaudereien waren für ihn sicher auch ein Ventil, um sich von der Schreibarbeit zu befreien. Und er war natürlich gelernter Schauspieler. Wenn er einmal im Redefluss war, ist man nur schwer zu Wort gekommen. Monologisieren war seine Sache.

Standard: Jeder redet sich selbst kaputt, wenn man ihn lange genug reden lässt. Haben Sie sich gestalterisch sehr zurücknehmen müssen?

Fleischmann: Anders wäre es nicht gegangen. Wenn man gewisse Dinge verlangte, die ihm zuwider waren, hat er das nicht gemacht. Trotz seiner Liebenswürdigkeit war er sehr bestimmend. Er meinte: "So werden Sie aus mir überhaupt nichts herauskriegen!" Er hat die Fernsehinterviews nicht mitgestaltet. Aber er hat sich auch nicht auf die Gestaltung eines anderen eingelassen. Er war sehr leicht zu kränken. Die leiseste Kritik führte zu einem Ausbruch - und dann zu einem stundenlangen Abbruch.

Standard: Ihnen wurde damals vorgeworfen, dass Sie den Dichter gar zu arg umschmeichelten.

Fleischmann: Ist sie jetzt so blöd, oder stellt sie sich nur so?! Für mich war es die einzige Möglichkeit, Persönliches von ihm zu bekommen. Er wollte adoriert werden. Wer möchte gern mit jemanden eine Woche lang zusammen sein, der ihn ständig kritisiert?

Standard: Jeder will gefallen.

Fleischmann: Nein, das war es nicht. Während der Dreharbeiten auf Mallorca bin ich mit meinem Team einmal im Restaurant gesessen. Da haben wir bemerkt, dass Bernhard davor gereizt auf und ab geht. Sagt der Kameramann: "Du, ich glaub, ihm ist es nicht recht, dass du mit uns zusammen bist." Sag ich: "Geh Blödsinn!" Wie ich ins Hotel komme, hat er mich fuchsteufelswild zur Seite genommen: "Das ist eine ernsthafte Arbeit, die wir hier machen! Wenn Sie glauben, Sie können sich hier auf meine Kosten vergnügen und mit Ihrem Freund, dem Kameramann, einen angenehmen Urlaub verbringen, dann täuschen Sie sich! Ich reise morgen ab!" Sag ich: "Nein, das ist ja nicht so." Sagt er: "Na, dann ist es gut." Das Eis war gebrochen.

Standard: Hat er sein Image als böser Mensch genossen?

Fleischmann: Es hat ihm wahnsinnig zu schaffen gemacht. Er hat sich über jede schlechte Kritik maßlos aufgeregt. Er hat immer gesagt, ich bin ja kein Erfinder, ich finde die Sachen! Wirklich fertig hat ihn gemacht, wie ich mit ihm nach der Uraufführung von Heldenplatz 1989 ins Café Sacher gehen wollte. Da hat der Kellner gesagt: "Frau Fleischmann, Sie sind willkommen. Aber den Herrn Bernhard, den wollen wir hier nicht mehr haben." Da hat er noch stundenlang danach gezittert. Weil er sich so aufgeregt hat. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.1.2009)