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Wer Personalisierung haben möchte, muss ein bisschen Privatsphäre opfern und umgekehrt. Die Realität im Netz ist allerdings etwas komplizierter.

Foto: REUTERS/Paulo Whitaker

Mit Alfred Kobsa sprach Alexandra Riegler.

Standard: Internetnutzer wünschen sich personalisierte Websites, dulden Eingriffe in ihre Privatsphäre aber nur bedingt. Wie schmal ist der Grat zwischen Zufriedenheit und Ärgernis?

Kobsa: Das Verhältnis ist nicht so einfach. Technisch ausgedrückt ist es nicht umgekehrt linear. Intuitiv würde man meinen, dass eine Kosten-Nutzen-Abwägung existiert: Wer ein wenig Personalisierung haben möchte, muss ein bisschen Privatsphäre opfern, und umgekehrt. In Wahrheit spielen viele Faktoren hinein, wie etwa Vertrauen. Wenn man einer Website vertraut, werden Datenschutzbefürchtungen abgeschwächt. Ist die Seite unbekannt und erscheint seltsam, verstärken sich Befürchtungen. Aber es gibt technische Bestrebungen, die Privatsphäre verstärkt zu schützen und dennoch fast die gesamte Personalisierung beizubehalten.

Standard: Wie funktioniert das?

Kobsa: Amazon etwa empfiehlt Bücher aufgrund Ihrer Einkaufshistorie und dessen, was Sie auf eine Merkliste legen. Der Internetbuchhändler soll auf diese Weise mindestens 25 Prozent zusätzlichen Umsatz machen. Man bekommt also eine gute Personalisierung und bezahlt mit der Aufgabe von Privatsphäre. Das muss nicht unbedingt so sein. Die Historie könnte anstatt auf Servern des Unternehmens auf Ihrem eigenem Computer gespeichert sein, das inkludiert auch die Algorithmen, die zur Auswertung verwendet werden. So gäbe es dieselbe Personalisierung, ohne Verlust an Privatsphäre.

Standard: Wie bringt man Benutzer dazu, möglichst viele persönliche Daten herauszugeben?

Kobsa: Ich arbeite daran, das Vertrauen der Benutzer in Websites zu erhöhen. Wir haben ein Experiment an der Universität Berlin gemacht, das ein bisschen auf Täuschung basierte. Wir sagten den Versuchspersonen, dass es sich um eine neue Version von Amazon handle. Es gab zwei Gruppen, und beide bekamen eine Reihe von Fragen, basierend auf den Antworten würde das neue System Buchempfehlungen abgeben. Eines der Bücher könnte deutlich vergünstigt gekauft werden, somit gab es einen gewissen Anreiz, die Fragen zu beantworten. Die eine Gruppe erhielt zu den Fragen den herkömmlichen Link zu den Datenschutzinformationen. Die andere bekam zu jeder Frage Erklärungen, warum wir das wissen wollen und wie wir die Daten schützen. Die Leute gaben dem datenschutzorientierteren System nicht nur mehr Informationen, es wurde auch ein Drittel mehr Bücher verkauft. Benutzer beziehen Datenschutzüberlegungen durchaus in ihre Überlegungen mit ein. Erklärungen erhöhen wahrscheinlich das Vertrauen.

Standard: Wie gut kann ein durchschnittlich informierter Benutzer die Sicherheit einer Website überhaupt einschätzen?

Kobsa: Die objektive Sicherheit ist extrem schwierig abzuschätzen. Experimente zeigen, dass Benutzer, wenn sie den technischen Hintergrund nicht verstehen, andere Indikatoren hinzuziehen, wie etwa Vertrauenssiegel, - egal, ob real oder erfunden. Weiters ist das Design einer Website wichtig. Auch die Darstellung lächelnder Personen kann das Vertrauen erhöhen. In manchen Fällen senkt es dieses jedoch auch.

Standard: Werden User im Umgang mit ihren Daten freizügiger?

Kobsa: Eine Umfrageserie in den USA zeigt, dass die Anzahl extrem datenschutzorientierter Personen leicht abnimmt. Auch jene, die überhaupt keine Bedenken haben, werden etwas weniger. Die pragmatische Mitte nimmt zu. Insgesamt steigt das Risikobewusstsein.

Standard: Was erwarten Sie sich von der neuen US-Regierung zum Thema Datenschutz?

Kobsa: Zu Beginn der Bush-Regierung hat es so ausgesehen, als würden Veränderungen kommen. Bush selbst hat sich in der Zeit einmal als "privacy guy" bezeichnet. Dann kam der 11. September, und es gab andere Prioritäten. Obama hat öffentlich erklärt, dass ihm Datenschutz wichtig sei. Es ist aber schwer abzuschätzen, was in den nächsten Jahren passiert.

Standard: Wo müsste denn dringend etwas unternommen werden?

Kobsa: Bei der Praxis der Datensammlung, die in den USA enorme Ausmaße hat. Da gibt es sehr viele Missbrauchmöglichkeiten. Weiters haben Benutzer von E-Commerce-Seiten keine Grunderwartungen, wie ihre Daten behandelt werden. Grundsätzlich wird das zwar erklärt, jedoch in einer schwer verständlichen, juristischen Sprache. Untersuchungen zeigen, dass weniger als ein Prozent, in machen Fällen weniger als ein Promille die Seiten aufruft, geschweige denn durchliest. Hier wäre ein Grundstandard wünschenswert. Wenn sich ein Unternehmen entscheidet, diesen zu unterschreiten, müsste dies explizit und in prominenter Form ausgewiesen sein.

Standard: Woran arbeiten Sie im Moment?

Kobsa: An Instant Messaging-Systemen (IM). Diese zeigen an, ob jemand online, beschäftigt oder off-line ist. In Teams, die eng zusammenarbeiten, erleichtert IM die informelle Koordinierung deutlich. Nun gibt es Softwareentwicklungssysteme, die Statusinformationen laufend zur Verfügung stellen. Manche Leute wollen aber nicht, dass andere permanent sehen können, was sie machen oder nicht machen. Eine Frau erzählte uns in einem Interview, dass ein Kollege ihre Online-Präsenz im IM-System aufzeichnete und eine offizielle Beschwerde beim Management einbrachte, dass sie zu wenig online wäre. Wir suchen hier nach Möglichkeiten, um einen Ausgleich zu schaffen.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. Jänner 2009)